2Die Sirene des Krankenwagens zerriss die Stille der Nacht, aber Claire hörte nicht mehr, sie sah nur noch. Ihre Hände drückten wie automatisiert Knöpfe und überprüften ständig die Werte. Sie hatte die Aufsicht, das sagen und den riesigen Fels der Verantwortung auf ihren Schultern. Allein sie wusste wie es um die Frau neben ihr auf der Bahre stand. Dabei hatte diese noch Glück gehabt, dass sich der Unfall gerade mal 5 Minuten von ihrem Haus entfernt ereignet hatte. Nur 10 Minuten länger und ein weiteres Menschenleben wäre erlischt. Jetzt war es ihre Aufgabe, alles dafür zu tun, dass es nicht doch noch dazu kam.
Als ihre Hände anfingen zu zittern, traf ihr Blick den ihres Kollegen Donald. Erkannte er was geschah? War ihm klar, dass das Leben dieser Frau mehr als nur am seidenen Faden hing?
>> Clairice? Ist alles in Ordnung mit ihnen? Wir sind gleich da, sie wird es schon schaffen. <<
Claire war da anderer Meinung. So wie das Auto auf den Baum geprallt war, war es ein Wunder, dass die Fahrerin überhaupt noch lebte. Wunder lassen sich aber nicht beliebig oft wiederholen, auch wenn es sie immer wieder geben soll.
>> Schon gut, Donald. Achtet ganz besonders auf ihren Kopf wenn ihr sie raustragt. Alles deutet auf einen großen schaden an ihrem Gehirn hin. <<
Dass der ganze Körper ein einziger schaden war, verschwieg sie.
Im Krankenhaus angekommen, fühlte Claire sich stark an eine Episode aus „Emergency Room“ erinnert. Überall waren Menschen, die ihr hilfreich unter die Arme griffen und das gab ihr Kraft.
Ob sie nun wollte oder nicht – das Persönliche an diesem Unfall schlich sich nach und nach in ihr Unterbewusstsein und störte ihre Arbeitsroutine. Noch nicht, noch hatte sie keine Zeit genauer darüber nachzudenken. Erst wenn alles erledigt ist. Job und Privates immer getrennt halten, das war ihr Grundsatz.
Claire atmete tief durch. >> Don? Ich brauche eine Pause. Am besten ich könnte jetzt nach Hause fahren. Braucht ihr mich noch? <<
>> Eigentlich brauchen wir sie hier immer, Clairice, aber für heute haben sie ihre Pflicht getan. Bevor sie gehen würde ich gerne noch alleine mit ihnen reden. <<
Donald nahm Clairice an der hand und führte sie in einen Raum, der nur für Personal zugänglich war. Das konnte man schon an der Einrichtung sehen. Im öffentlichen Bereich gab man sich Mühe den Patienten eine Atmosphäre zu bieten, die nach Möglichkeit nichts Steriles mehr an sich hatte, aber wenn man ehrlich war, gelang das so gut wie nie. Die Räume für das Personal waren allesamt spartanisch hergerichtet, damit sich hier niemand gerne lange aufhielt. Man soll ja schließlich arbeiten.
Nachdem Donald die Tür abgeschlossen hatte, setzte er sich Claire gegenüber an den Tisch, faltete die Hände und schwieg.
>> Donald, ich weiß, was du... <<
>> Sie wird es nicht schaffen << Donald war doch immer für eine Überraschung gut. >> Mit viel Glück wird sie noch einmal das Bewusstsein erlangen, aber wir können nichts mehr für sie tun außer vielleicht die Schmerzen zu lindern. Es wäre nett, wenn du dich noch um ihre Identifikation kümmern würdest. Wir haben keine Papiere finden können. Weder im Auto oder besser dem, was noch davon übrig ist, noch bei ihr selbst. Vielleicht hilft dir das Nummernschild des Wagens weiter. Schon ungewöhnlich, dass eine so gut situierte Frau ohne Fahrzeugpapiere fährt. Sie muss ziemlich in Eile gewesen sein. <<
>> Woher willst du wissen, dass sie gut situiert ist? <<
>> Clairice, das Auto war ein BMW, ein funkelnagelneuer noch dazu. So einen würde ich mir gerne mal leisten können. Wenn wir erst mal ihren Namen wissen, finden wir vielleicht Angehörige, aber wir sollten erst mal mit der Recherche anfangen. Ich würde nur... <<
>> Donald?... <<
>> ...gerne von dir wissen...<<
>> Donald! << Er hatte sich regelrecht in Trance geredet, was leicht makaber war. Immerhin ging es um das Leben oder den Tod eines Menschen. Aber das war Donald wie er leibt und lebt. Sein Hobby war sein Beruf und keine Aufgabe war unter seiner Würde. Nur an der Dosierung seines Enthusiasmus musste er noch arbeiten.
>> ... wie lange wir ihre lebenserhaltenden Organe noch unterstützen sollen? <<
>> Donald! << Fast hätte sie geschrieen. Das schien auch ihm aufgefallen zu sein.
>> Was gibt’s Claire? <<
>> Donald, du ... hast du gerade CLAIRE gesagt? <<
>> Ich glaube schon, sonst noch was? << Fast hätte Claire gelächelt, aber sofort erinnerte sie Donalds fesselnder Blick daran, was geschehen würde.
>> Du machst einen hervorragenden Job, doch diesmal muss ich dich bremsen. Ich kann dir Arbeit abnehmen. <<
Wie schwer es ihr doch fiel den einen Satz zu sagen. War es die angst vor seiner Reaktion, die ihre Zunge lähmte Sicherlich würde er etwas sagen wie: Mir ist aufgefallen, dass sie irgendetwas belastet und dann würde eine Mitleidsbekundung folgen. Sie wollte das nicht, aber es musste sein.
>> ich kenne sie, Donald. << Claire hatte darauf geachtet, nicht von ihr in der Vergangenheit zu reden. Donald nickte nur kurz und sah konzentriert auf den Tisch, so als wollte er seine Maserung studieren.
>> Ihr Name ist Berverly Collier. Ihr Nachname wird wie der französische Halsschmuck ausgesprochen. Ich will dir jetzt nicht alle Daten einzeln erzählen. Wenn du möchtest, rufe ich dich von zuhause an und gebe dir eine Telefonnummer. <<
>> Kein Problem, Claire. << Behutsam legte er seine Hand auf ihre. Wie von der Tarantel gestochen schnellte sie vom Stuhl hoch und lief in Richtung Tür. Nahezu panisch rüttelte sie am Türgriff. Als diese sich immer noch nicht öffnen wollte, sackte Claire langsam vor ihr zusammen und begann am ganzen Körper zu zittern. Schluchzend lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Tür, die Augen geschlossen. Donalds Versuch zu Claire durchzudringen wurde mit halbherzigen Schlägen von Claire abgewehrt, doch letztendlich gelang es ihm seine Arme um ihren Körper zu schlingen. Für einen durchtrainierten Mann wie ihn war es keine große Sache Claire hochzuheben. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals. Während er auf einem Arm Claire balancierte, schloss er mit der freien Hand die Tür auf und trug sie in ein Nebenzimmer, wo Claire auf einer Couch Ruhe finden sollte. Dass diese Hoffnung utopisch war, stand außer Frage.
Natürlich tat es Claire gut ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, aber dadurch hatte sie ihren eigenen Grundsatz vernichtet und dass dieser Gefühlsausbruch direkt vor Donalds Nase stattgefunden hatte, war auch nicht Teil des Plans. Moment mal – von welchem Plan war hier überhaupt die Rede? Sie drückte den schmerzenden Kopf in eines der Kissen auf der Couch. Beverly hätte jetzt gesagt: „Willkommen im Leben, Claire.“