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Dieses Thema hat 5 Antworten
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 Karsten
Karsten Offline


Aktiver



Beiträge: 161

12.01.2008 00:42
Hugo Goldfisch Antworten

Hugo Goldfisch

Hugo dreht langsam seine Runden durch das runde Goldfischglas. Wie immer, wenn er bei der Wasserpflanze vorbeischwimmt, schnappt er sich einen kleinen Rest vom Fischfutter. Meistens bleibt etwas davon in den grünen Ästchen hängen, weil die Kinder jedes Mal zuviel aus der Futterdose in das Aquarium schütten. Gleich wird der erste Wecker klingeln. Obwohl Hugos Goldfischglas im Wohnzimmer auf einem kleinen Schränkchen steht, kann er das Klingeln und Rappeln der Wecker in den Schlafzimmern gut hören. Piep...Piep...Piep.....der Elektrowecker des Vaters beginnt jeden Morgen mit diesem grässlichen Geräusch. Hugo lässt es alle goldgelb-orangen Schuppen erschaudern. Wie kann ein Mensch, der so gerne französische Romane liest, einen solch fürchterlichen Wecker besitzen? Der Vater hat sich auch den Namen für Hugo ausgedacht - nach Victor Hugo, dem französischen Schriftsteller. Wenn der Vater gleich ins Wohnzimmer kommt, wird er sich vor das Goldfischglas stellen und an die Scheibe klopfen. Mit spitzen Lippen, als ob ihn dort eine Biene gestochen hätte, wird er „Guten Morgen, Ügoh“ sagen. Das hört sich dann sehr französisch an.
Morgens ist in diesem Haus immer etwas los. Das findet Hugo gut. Die Nacht ist ihm zu langweilig und zu dunkel. Goldfische brauchen Licht und Sonne.
Die Kinder sind aufgestanden. „Hallo Hugo!“ Sie klatschen mit ihren Händen an die Scheibe und schütten zuviel Futter ins Wasser. Die Flocken trudeln durch das Wasser und bleiben in den Ästchen der Wasserpflanze hängen. Gleich hat die Mutter in der Küche das Frühstück fertig zubereitet. Bevor alle das Haus verlassen, kommt sie noch mit einem Lappen vorbei und wischt die Fingerabdrücke der Kinder vom Goldfischglas. Die Mutter ist sehr ordentlich und kann verschmierte Scheiben nicht ausstehen. „Mich kann sie auch nicht leiden,“ denkt Hugo. „Nie sagt sie etwas zu mir.“ Nach dem Frühstück geht die Familie zur Arbeit und in die Schule. Dann wird es ruhig im Haus und Hugo dreht seine Runden durch das Goldfischglas. Plötzlich hört Hugo ein Brummen über dem Wasser. Er schwimmt an die Oberfläche und schaut sich um. „Na Du Langeweiler!“ Eine dicke Fliege hat sich auf den Glasrand gesetzt. „Ich sehe mir das Schauspiel jetzt schon die ganze Woche an. Wie öde! Du machst den ganzen Tag nichts anderes als im Kreis zu schwimmen und dieses komische Zeug zu essen.“ Hugo ist ein gemütlicher und freundlicher Goldfisch. Die dicke Fliege hat er noch nie gesehen. „Guten Morgen, dicke Fliege. Was soll ich sonst machen? Ich bin ein Goldfisch und drehe meine Runden im Goldfischglas. Aber Du bist ein netter Anblick. An irgendetwas erinnerst Du mich.“ Die dicke Fliege lacht und surrt über das Aquarium. „Jaja, ich weiß.....ich wäre ein leckeres Fischfutter. Deswegen setze ich mich auch lieber etwas weiter von Dir weg. Ich bin hier auf der Durchreise und suche meinen Richard. Er ist ständig auf der Jagd nach leckeren Knabbereien. Hast Du ihn bei Euch gesehen?“ Hugo schüttelt den Kopf. „Wer ist denn Richard?“ Die dicke Fliege setzt sich wieder auf den Glasrand. „Richard ist mein dicker Stubenfliegenehemann. Ich heiße Meta. Und Du bist der Hugo. Das habe ich ja nun schon mitbekommen.“ Hugo spitzt die Lippen, als ob ihn dort eine Biene gestochen hat. „Eigentlich Ügoh! Aber meine Freunde würden mich Hugo nennen, wenn ich welche hätte. Ich habe nur meine Gastfamilie, die an die Scheibe klopft und mich füttert. Aber die sind in Ordnung. Du hast einen komischen dicken Stubenfliegenehemann. Warum lässt er Dich alleine?“ Meta surrt wieder einmal über das Goldfischglas und setzt sich fast auf Hugos Kopf. Das traut sie sich dann aber doch nicht. Heftig rudert sie mit den Flügeln, um auf einer Stelle nahe dem Goldfischkopf zu bleiben. „Besser einen komischen Ehemann, der sich in der Weltgeschichte herumtreibt, als keine Goldfischfrau zu haben. Richard kommt immer wieder zu mir zurück. Hugo, Du brauchst jemanden mit dem Du Deine Runden im Goldfischglas drehen kannst. Schau Dich einmal an. Du hast schon Einsamkeitsfalten auf der Stirn.“ Hugo versucht sich anzuschauen. Aber ohne Spiegel geht das nicht. „Wie ist es denn, wenn man einsam ist, Meta?“ Jetzt setzt sich Meta doch auf Hugos Kopf. Der Goldfisch stellt sich kerzengerade im Wasser auf, damit Meta nicht nass wird. Die dicke Stubenfliege überlegt. „ Die Einsamkeit lässt Dich langsam Deine Runden durch das Goldfischglas drehen. Für Dich gibt es nur das Klopfen und Klatschen an die Scheibe und das viele Futter aus der Dose. Du lässt die Flossen hängen und ziehst die Mundwinkel nach unten. Bist du schon einmal ganz schnell im Wasser geschwommen und hast dabei einen Purzelbaum gemacht? Hast Du jemals einen Herzhüpfer vor Freude gehabt, wenn etwas besonders schön war?“ Hugo taucht ein wenig unter, ohne dass Meta nass wird und atmet einmal tief durch die Kiemen. „Nie bin ich schnell durchs Wasser geschwommen. Niemals habe ich einen Herzhüpfer gehabt. Nur wenn die Kinder morgens an die Scheibe klatschen, bleibt mein Herz vor Schreck fast stehen. Oje. Du hast Recht. Ich bin einsam!“ Meta, die dicke Stubenfliege, steigt mit einem Brummen hoch in die Luft. „ So ist es leider, Hugo. Ich wünsche Dir, dass es bald anders wird. Viel Hoffnung will ich Dir nicht machen. Wie soll eine Goldfischdame in Dein Goldfischglas finden? Da haben wir Stubenfliegen es besser. Wir können einfach wegfliegen. Ich suche meinen Richard jetzt bei Eurem Nachbarn. Aus seinem Haus duftet es nach Pflaumenkuchen mit Streuseln. Das ist Richards Lieblingsspeise. Au revoir, Ügoh, wie man in Frankreich sagt.“ Schon ist Meta durch das offene Fenster gesurrt. Hugo taucht wieder unter Wasser und versucht schnell zu schwimmen. Das geht nicht so gut. Eigentlich geht es gar nicht. Vielleicht ist es ein bisschen schneller als das langsame Rundendrehen. Hugo hört die Haustür ins Schloss schlagen. Die Familie kommt wieder nach Hause. Die Kinder stürzen an Hugos Goldfischglas vorbei und klatschen gegen die Scheibe. „Hallo Hugo!“
Irgendwann beginnt der Abend. Der Vater, die Mutter und die Kinder setzen sich ins Wohnzimmer und schalten den Fernseher an. Hugo schaut manchmal mit, wenn der Fernseher läuft. Die Familie sieht sich eine Sendung an, in der zwei Menschen zusammen sitzen und sich unterhalten. Zwischen ihnen sitzt ein Hund auf dem Boden. Einer der Menschen streichelt den Hund immerzu. Eine Telefonnummer wird eingeblendet. Hugo ist es egal, weil er kein Telefon hat. Einer der Menschen steht auf und geht mit dem Hund aus dem Bild. Der andere Mensch bleibt sitzen und redet alleine weiter. Er spricht über Fische. Soviel kann Hugo verstehen. Der Mensch schaut zur Seite, steht von seinem Stuhl auf und begrüßt einen weiteren Menschen, der ins Bild kommt. Irgendetwas trägt er in seinen Händen. Ein Goldfischglas!! Eine wunderschöne Goldfischfrau dreht darin langsam ihre Runden. Hugo wird ganz aufgeregt und beginnt schnell umherzuschwimmen. Er schwimmt so schnell, dass er aus seinen Runden fliegt und mit dem Kopf gegen die Scheibe stupst. „Mama, schau mal, was Hugo macht,“ rufen die Kinder, „ er benimmt sich ganz verrückt.“ Hugo hört nur den Menschen im Fernsehen. „Leider kann Marie nicht bei ihrem Besitzer bleiben, weil er eine Fischallergie hat. Wir suchen ein neues Zuhause für diese schöne Goldfischfrau. Schön wäre es, wenn Marie nicht alleine ihre Runden im Goldfischglas drehen muss.“ Die Mutter steht aus ihrem Sessel auf und geht zu Hugo. „Jetzt hört einmal alle zu. Ich sehe mir das mit dem armen Hugo schon lange genug an. Immer wenn ich die Scheibe vom Goldfischglas abwische, damit er überhaupt etwas durch das Glas erkennen kann, sehe ich seine Einsamkeitsfalten. Wir rufen jetzt bei dem Fernsehsender an und holen Marie zu uns. Ich will keine Widerworte hören. Unglückliche Goldfische mag ich nämlich überhaupt nicht.“ Der Vater, die Kinder und Hugo sehen die Mutter mit offenen Mündern an und alle staunen nur noch.
Schon am nächsten Tag steht die Familie gemeinsam am Goldfischglas und sieht Marie und Hugo zu, wie sie rasend schnell zusammen durch das Wasser schwimmen und Purzelbäume schlagen. Nur für die Herzhüpfer bleiben die beiden Goldfische stehen. Sie schauen sich lange an und stupsen ihre Köpfe aneinander.....

Vous qui voulez des fleurs Sie, die Sie Blumen wollen,
Cherchez-en dans les cœurs Suchen Sie in den Herzen.
(aus Air de la princesse d ´Orange von Victor Hugo)

kb

Hinrich Offline


Hausfreund/in



Beiträge: 591

12.01.2008 07:15
#2 RE: Hugo Goldfisch Antworten




Lieber Karsten,

das Leben kann soooo schön sein – ja, auch für Goldfische !
Zauberhaft, Deine gold(fisch)ige Geschichte. Wer macht sich schon Gedanken über die Gedanken eines Goldfisches ? – Gehe ich recht in der Annahme, dass die hübsche Erzählung gar etwas mit dem wirklichen Leben, mit Eurem Leben, mit Deiner Familie und vielleicht auch Deiner Liebe zu „Victor Hugo“ zu tun hat ? – Im weitesten Sinne (so scheint mir) ist diese Schilderung ein Extrakt Deiner Autobiographie.

Etliche Details kommen mir sehr bekannt vor. In meiner Kindheit gab es bei uns zu Hause ebenso stille Hausgenossen, mit denen sich die Familie, ein jeder auf seine Art, unterhielt. Na und wir Kinder hatten, wie Du es beschreibst, Angst, dass die lieben kleinen Fischchen verhungern könnten, und so streute jeder mal eben im Vorbeigehen Futter ins Aquarium. Wir hatten keine Goldfische, wir begnügten uns mit winzig kleinen Zierfischchen, die sich (vielleicht wegen des reichlichen Futters) so stark vermehrten, das alsbald ein größerer „Glaskasten“ gebaut werden musste. – zwei Jahre hat der Spaß gedauert, denn eines schönen Tages funktionierte offenbar der Regler der Tauchheizung nicht mehr. Wir Kinder kamen aus der Schule und wollten wie gewohnt unsre Fischchen füttern, da stellten wir mit Entsetzen fest, dass sie allesamt auf dem Rücken an der Wasseroberfläche trieben. Mein Bruder sagte nur spöttisch: heute gibt’s Kochfisch !

C’ est la vie !

Liebe Grüße
Hinrich

©whp

Karsten Offline


Aktiver



Beiträge: 161

12.01.2008 07:32
#3 RE: Hugo Goldfisch Antworten

Guten Morgen, lieber Hinrich. Ich Danke Dir wieder einmal herzlich für Deine Worte. Vorab, das Kochfischerlebnis teile ich mit Dir. Es waren auch Zierfische und das Aquarium wurde über 2 Jahre größer und größer. Dazu muss ich sagen, dass meine Familie durch meinen damaligen kindlichen Einfluss über Jahre hinweg zu einer Art Tierasyl gedrängt wurde. Die Fische waren bei Jemandem überflüssig, dann waren Kaninchen irgendwo störend im Weg, Wellensittiche waren einem Anderen zu laut, eine nur ein paar Wochen junge Katze fand sich am Straßenrand, Hunde und Kinder vertrugen sich in einer weiteren Familie nicht und ein Nymphensittich war seinem Besitzer zu aggressiv. Naja, bei uns lebten sie bis ans Ende ihrer Tage Die Zierfische, und damit komme ich auf das von Dir Angesprochene zurück, wurden leider Opfer einer 3jährigen Nachbarstochter, die unbemerkt den Stecker der Heizung gezogen hatte. Zu kaltes Wasser....

Goldfische waren nicht in unserer Sammlung. Aber ich hörte in einem Gespräch mit einer Kollegin, dass 2 Goldfische als Geschenk für einen Firmenchef gemacht wurden und ihren Platz in seinem Büro gefunden hatten. Einer trieb irgendwann auf der Wasseroberfläche und ich begann mir Gedanken über das Schicksal des anderen zu machen. Also auch etwas autobiographisch, wie (fast) Alles, was ich schreibe. Und Victor Hugo? Ich mag ihn sehr.
Trotzdem war ich lange nicht so recht zufrieden mit dieser Geschichte und bin es heute auch noch nicht. Irgendetwas stört mich daran. Finde es allerdings nicht heraus.

Lieber Hinrich, ich wünsche Dir einen schönen Tag und Alles Liebe

Karsten

kb

Anette ( gelöscht )
Beiträge:

12.01.2008 13:02
#4 RE: Hugo Goldfisch Antworten

was für eine goldige Fischgeschichte.. klasse Karsten...

Eleonore ( Gast )
Beiträge:

13.01.2008 18:55
#5 RE: Hugo Goldfisch Antworten

Also, lieber Karsten, da möchte ich dir aber widersprechen!
"Irgend etwas stört mich an der Geschichte, ich weiß nur noch nicht was"...........

Diese Geschichte ist wundervoll, ich habe sie ganz langsam, mit Genuß gelesen. Ich muß mich da Hinrichs Worten anschließen: "wer macht sich schon Gedanken über die Gedanken eines Goldfisches?"
Ich sah Hugo vor meinem geistigen Auge, wie er seine Runden dreht, sah seine Einsamkeitsfalten (klasse), ich sah die dicke Meta.....du hast das sacht und leise und doch sehr eindringlich geschrieben, sodaß man wirklich alles vor Augen hat. Ich konnte mir sogar das Wohnzimmer vorstellen, in welchem Hugo's Goldfischglas steht.
Klasse auch die Kommunikation mit Meta, wer käme auf so etwas?

Weißt du was mich an all dem stört? Einfach nur der Gedanke an den armen Goldfisch Hugo, der für viele Goldfische steht, die in einem für ein ganzes Goldfischleben langes Leben, viel zu kleinen Goldfischglas vegetieren müssen!!!
Deine Geschichte jedoch läßt vielleicht so manchen einmal darüber nachdenken, denn die Einsamkeitsfalten hat vielleicht noch keiner bei seinem "Hugo" gesehen??? Dahingehend ist deine Geschichte doppelt gut.

Klasse geschrieben!

LG, Eleonore

Heggse Offline


Profi



Beiträge: 369

16.01.2008 12:13
#6 RE: Hugo Goldfisch Antworten

*träne wegwisch*
Ist das schöööööööööööööööööööööööööönnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn

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