Spatz unterm Dach
„Spatz unterm Dach,mach uns nicht wach!Das Zetern, das Meckern, das Schimpfen und Schreien, müssen doch morgens nun wirklich nicht sein!“
Kaum schaut am frühen Morgen die Sonne hinter dem Berg hervor, da beginnen die Spatzen im Wilden Wein unter dem Dachgiebel ihren Tag. Ein Spatz tschilpt und flattert aus den Blättern heraus. Schon schimpfen die anderen Spatzen hinter ihm her. Eine wilde Hin- und Herflatterei beginnt mit „Hallo“ und „Guten Morgen“ und „Hast Du schon gehört?“ und „So etwas habe ich noch nie gesehen!“ , natürlich alles in der Spatzensprache.
Die Spatzen lieben es mit vielen anderen Spatzen zusammen ihre Nester zu bauen. Im Wilden Wein haben sie eine richtige Spatzenkolonie gegründet. Hier leben große Spatzen, dicke Spatzen, kleine Spatzen und klitzekleine Spatzenkinder. Wenn einer von ihnen morgens „Tschilp“ ruft, heißt das „Ist schon einer wach?“. Rufen die anderen dann „Tschilp, Tschilp“, meinen sie „Guten Morgen, ja, es kann losgehen!“. Dann fliegt Einer zum Anderen und der Andere zum Einen. Und „Tschilp, Tschilp, Tschilp“ erzählen sie über Gott und die Welt und schimpfen und zetern und haben ihre Freude daran.
Die Drosseln singen zum Sonnenaufgang schöne Lieder, die Meisen zwitschern vergnügt und die Finken trällern muntere Weisen. Die Spatzen dagegen sind nur laut. Sie haben einen großen Spaß daran laut zu sein.
Nur ganz oben im Wilden Wein sitzt eine Spätzin in ihrem Nest auf einem Ei und brütet. Sie ist still und träumt vor sich hin. Sie träumt davon, dass sich etwas in dem Ei bewegt. Dass es klopft und sich ein kleiner Schnabel durch die Schale arbeitet. Von ihren vier gelegten Spatzeneiern ist der Spätzin nur dieses eine Ei geblieben. Eines ist aus dem Nest gekullert, als die Spätzin Besuch von der Nachbarin bekommen hatte. Da wurde es zu eng im Nest und es wurde geplappert und niemand bemerkte das kullernde Ei. Das zweite hat der Marder geholt, als er über das Dach geklettert war und die Spätzin die Nachbarin zum Plappern besucht hatte. Das dritte hat die Elster aus dem Nest stibitzt, als die Spätzin mit der Nachbarin zur Mutter der Nachbarin geflattert war, um ein wenig zu plappern. Da hat die Spätzin sich gedacht: „Das Plappern muss ich jetzt verschieben. Einen kleinen Spatz will ich doch gerne haben.“ Seitdem brütet sie und hört auch nicht zu, wenn der dicke Nachbarspatz ruft: „Spätzin! Tschilp! Weißt Du schon das Neueste?“ Sogar als neulich zwei Spatzenfrauen zum Plappern vorbei gekommen waren, um von dem neu gebauten Nest am Ende des Wilden Weins zu erzählen, hielt die Spätzin die Augen geschlossen und tat so, als ob sie nichts hören würde. Wie schade! Dabei wollte sie doch liebend gerne wissen, wer dort einziehen würde. Nur um ab und zu einige Getreidekörner vor dem Schafstall einzusammeln und ihren Hunger zu stillen, verlässt die Spätzin noch das Nest. Auch jetzt fängt ihr Spatzenmagen wieder an zu knurren. Die Spätzin will gerade aus dem Nest zum Stall flattern, als sie ein leises „Tick“ hört. Und noch mal macht es „Tick! Tick, Tick!“ und wieder „Tick!“. Vorsichtig setzt sie sich an den Rand des Nestes und schaut auf ihr Ei. Ein kleiner Riss zeigt sich in der Schale. Und dann „Tick“, noch ein kleiner Riss. Ganz aufgeregt flattert die Spätzin von einem Nestrand an den anderen. „Tschilp, Tschilp, Tschilp“ ruft sie, so dass es alle anderen Spatzen im Wilden Wein hören können. „Mein kleiner Spatz kommt auf die Welt!“ Aus den beiden kleinen Rissen in der Schale wird ein großer Riss und die Spätzin sieht einen Schnabel, der sich durch die Schale arbeitet. Noch ein kräftiges „Tick“ und der kleine Spatz schaut die Spätzin erwartungsvoll aus der zersprungenen Eierschale an. „Tschilp, Mama, hier bin ich!“ Sofort flattern alle Spatzen aus dem Wilden Wein herbei und plappern laut durcheinander. „Was für eine Aufregung!“ denkt sich der kleine Spatz und kuschelt sich an seine Spatzenmama. Vorsichtig schaut er aus dem Nest den Wilden Wein hinunter und sieht vor dem Haus einige Menschenkinder, die das Begrüßungsgeplapper für kleine Spatzen gehört haben. Sie schauen hinauf und singen ihr Spatzenlied:
„Spatz unterm Dach, mach uns nicht wach! Das Zetern, das Meckern, das Schimpfen und Schreien, müssen doch morgens nun wirklich nicht sein!“
Der kleine Spatz tschilpt vergnügt und sagt zu seiner Spatzenmama: „Na, das kann ein Spatzenleben werden. Die leisen Tage im Ei sind nun vorbei. Mama, ich habe jetzt Hunger auf eingeweichte Getreidekörner und danach will ich wissen, was das für eine Welt ist, in die ich mich hineingetickt habe.“