23.06.2006 01:56 Der Weg zum Plateau von Biggi
Ihr Schneckenhaus war verschlossen. Beinahe luftdicht versiegelt vom Schleim den die Unsicherheit absonderte. So lag sie eine kleine Ewigkeit ängstlich zusammengekauerte in der Ecke ihrer Enge. Doch eines Tages beschloss sie, sich nach dieser langen Verschnaufpause nicht mehr länger in ihrem Schneckenhaus zu verkriechen. Vorsichtig streckte sie ihre Fühler aus, atmete tief die erfrischende, stärkende Luft ein und mutig machte sich die Schnecke auf den Weg.
Ihr Ziel war es, zusammen mit einigen anderen Tieren das Plateau oben auf dem Selbstsicherheits-Berg zu erreichen. Der Weg dorthin war sehr steil und unwegsam und oft musste sie Rast einlegen. Manchmal rutschte sie auch wieder zurück, den steilen Hang hinunter. Tapfer schaffte sie sich jedoch immer wieder langsam voran bis….ja bis ihr Blick bei einer kurzen Rast auf die Weggefährten fiel. Diese Steinböcke, wie sie sich schwungvoll, elegant und sicher in dieser Umgebung bewegten und jeden Stein, jeden Felsvorsprung zu kennen schienen. Sie waren diesen Weg sicher schon oft gegangen und hatten sich erfolgreich an der Quelle dort auf dem Gipfel gelabt denn leichtfüßig, geschickt und selbstbewusst, zogen sie an der Schnecke vorbei.
Und plötzlich wurde es ihr bewusst… sie hatte sich viel zu viel vorgenommen und war an ihren persönlichen Grenzen schon längst angelangt. Nein, sie würde dieses Plateau dort oben auf dem Gipfel niemals erreichen können. Nicht über diesen Weg. Sie war hier fehl am Platz. Wie dumm und dreist war sie nur, anzunehmen, dass sie diese Strecke erfolgreich gehen könnte. Resigniert hielt sie inne, wünschte den kräftigen Tieren viel Glück und drehte sich um.
So rutschte sie den Berg hinunter, verlor unterwegs die kleinen Selbstsicherheits-Tröpfchen, die sie am Hang eingesammelt hatte und war wieder angekommen. Zurück - im Tal der Unsicherheit.
Diese Geschichte entstand (so wie einzelne meiner Gedichte, durch eine Wortvorgabe - Grenzen galt es zu assoziieren © Birgit Lüers
Camaela Treue Seele
Beiträge: 2.127
23.06.2006 12:14 RE: Der Weg zum Plateau
Hallo Biggi, du schreibst wirklich schön, es macht Freude deine Kurzgeschichten zu lesen Schade, dass die Schnecke aufgegeben hat ich hätte ihr so gewünscht, dass sie den Gipfel doch noch erreicht und sich nicht mit Nichtartgenossen misst
Liebe Grüße Camaela
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* ich will so bleiben wie ich bin ;) *
Su
23.06.2006 14:51 RE: Der Weg zum Plateau LieBe Biggi, ich muss Camaela Recht geben du schribst sehr sehr gut. Ich bekam Gänsehaut beim lesen und muss gestehen...so ging es mir vor 3 Jahren auch ....aber ich habe den Weg nach Oben wieder geschafft,obwohl ich oft an meine Grenzen gestossen bin.... aber dank lieber Freunde habe ich nicht aufgegeben und bin mutig weiter gekrochen. Heute bin ich oben und es geht mir gut! Danke, das du mir mit dieser Geschichte noch einmal zeigen konntest wo ich war und wo ich jetzt bin!
Biggi
Beiträge: 4.448
23.06.2006 17:58 RE: Der Weg zum Plateau
In Antwort auf:Hallo Biggi, Schade, dass die Schnecke aufgegeben hat ich hätte ihr so gewünscht, dass sie den Gipfel doch noch erreicht und sich nicht mit Nichtartgenossen misst
Das war wohl auch ein grosser Fehler, sich an "vermeintlichen" Nichtartgenossen zu messen. Denn im Grunde, war diese Schnecke auch ein Steinbock ...sie wusste es nur nicht. Is vielleicht jetzt bissl unverständlich, jedefalls glaube ich, dass die "Schnecke" sich selbst zu Schnecke gemacht hat... und inzwischen hat sie sicher auch das Plateau erreicht. Hoff ich mal für sie
In Antwort auf:Ich bekam Gänsehaut beim lesen und muss gestehen...so ging es mir vor 3 Jahren auch ....aber ich habe den Weg nach Oben wieder geschafft,obwohl ich oft an meine Grenzen gestossen bin.... aber dank lieber Freunde habe ich nicht aufgegeben und bin mutig weiter gekrochen. Heute bin ich oben und es geht mir gut!
Helfende Hände sind toll und unersetzlich - allerdings sollte man sich vor Augen halten, dass man selbst es ist, der´s dann schafft oder geschafft hat. Darauf kann und sollte man stolz sein. Gerade dieses Bewusstsein, hilft einem dann vielleicht, wenn man mal wieder ins Straucheln kommt.... so denke ich jedenfalls
Danke, euch Beiden!
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Weiniger bedeutet oftmals mehr
bernd
Beiträge: 4.212
28.06.2006 15:19 RE: Der Weg zum Plateau Eine sehr eindrucksvolle Geschichte und sehr gut geschrieben. Mitleid mit der Schnecke ist angebracht! Vielleicht hätte ich den Begriff Hoffnung noch untergebracht. Sie kannte ihre Situation und hatte ein Ziel vor Augen. Nun hätten andere Tiere ihr helfen sollen,Prinzip Solidarität. Das Zurückfallen in die Unsicherheit hat sie keinen Schritt vorangebracht. Jetzt fehlt das Element Hoffnung. Ich kann allen nur zustimmen.Du schreibst gut.
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Helga Treue Seele
Beiträge: 2.808
28.06.2006 16:59 RE: Der Weg zum Plateau
Deine Schneckengeschichte finde ich echt gut. Auch, dass sie wieder zurückgefallen ist erscheint mir schlüssig. Denn sie ist eine Schnecke und wird sich durch Gipfelstürmerei nicht zu einem Steinboch mausern. Das kann ja nur zu Frust führen. Schnecken haben eben andere Ziele als Steinböcke. Von daher finde ich das zurückrutschen schon ok. Sie wird ihre Situation sicher überdenken und zu dem Schluß gelangen, dass sie nur Selbstbewußtsein entwickeln kann, wenn sie bei sich bleibt, hat ja auch schließlich ein Haus auf dem Rücken, grins. Bei sich bleiben und das vertreten können ohne sich zu rechtfertigen, wird ihr sicher mehr Selbstbewußtsein geben als Berge erklimmen. Ach, und im Tal ist ja auch alles viel schöner für Schnecken, die Wiesen sind saftiger und die Steine kratzen auch nicht so scharf wie an einem steilen Fels, lächel.
Hat mir sehr gut gefallen die Geschichte, vor allem aus einer einzigen Vorgabe entstanden....... finde ich sehr beeindruckend. Mir fällt da nie was Gescheites ein bei, lach. Aber ich habe eben auch meine eigenen Stärken und Schwächen.
Biggi
Beiträge: 4.448
28.06.2006 20:21 RE: Der Weg zum Plateau
Bernd - Hoffnung.. hmm...wahrscheinlich würde die Hoffnung dann in einer Fortsetzung der Geschicht Thema werden. Die anderen Tiere hatten wohl Prinzipien, die sie nicht brechen wollten. Die kleine Schnecke schien ihnen zu kraftlos und sie dachten, mit dem Rat umzukehren, würden sie der Schnecke einen Gefallen tun.... sie haben nicht an sie geglaubt....
Helga - Die Schnecke war schlau... ich glaube sie hat sich dann Zeit genommen, als sie wieder unten angekommen war. Zeit um nachzudenken, wie sie denn dieses Plateau nun erreichen könnte, denn es war noch immer ihr Ziel, und so schnell wollte sie das nicht aus den Augen verlieren. Ein bissl Stolz hatte sie auch noch So hat sie sich dann umgeguckt und bald einen anderen, einen viel weniger steilen Weg gefunden - begrünt und nicht so steinig..... ...und so kriecht sie weiter - immer weiter...
Ich danke euch Beiden und freu mich, dass euch die kleine Geschichte gefällt!
Die Poesie heilt die Wunden, die der Verstand schlägt Novalis
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