Wie vor zwei Jahren
Vor zwei Jahren stand ein Foto von mir auf dem Schreibtisch.
Das erste überhaupt.
Das erste, was ich selbst von mir aufgestellt hatte.
Ich saß auf einer Wiese, im Sommer, bei einem Festival, drehte eine Zigarette, schaute zu Boden. Meine kastenförmige Brille war mir deutlich gen Erde gerutscht, ich trug zwei winzig kleine, dünne, ärmellose Shirts übereinander.
Eine Momentaufnahme.
Ich fühlte mich dünn, sportlich, anders.
Die Musik und die Stimmung waren traumreich, etwas abseits von Geschehen, unter einem kräftigen Baum, die Sonne im Nacken, von den Blättern geschützt.
Ich nahm die Fotokiste an diesem Tag.
Jedes Foto auf dem ich mich mochte, war mit Sehnsüchten verbunden.
Ich konnte sie nicht fertig durchschauen, legte sie wieder ab, schob sie unter den Stapel, verschloss die Kiste.
Übrig blieb dieses eine Foto.
Man muss dazu sagen, dass es in einer anderen Stadt war, auf einer unbekannten Wiese mit nur unbekannten Leuten.
Ich sah in den anderen welche, die mich mit vertrauten Personen zeigten, die es wussten, schwiegen oder sprachen, noch bei mir lebten oder bereits weggezogen waren.
Das war nun anders.
Keiner wusste von biografischen Hintergründen.
Freiheit.
Doch dann kam der Tag, an dem ich auch dieses Foto entfernen musste.
Lange Zeit hatte ich es umgelegt.
Mit dem Kopf zu Boden, es aber Liegen lassen.
Ich hatte die Hoffnung, es wieder aufstellen zu können.
Aber dazu kam es nicht.
Wozu kam ich dann?
Zu allem und zu nichts, zu neu im Kopf rekonstruierten Aufgaben, Wiederholungen, Sehnsüchten.
Ja, plötzlich hatte ich mich im Kreis gedreht.
Das Foto erhielt dieselbe Bedeutung wie alle anderen.
Einmal besuchte mich ein Mädchen.
Sie machte bei mir Praktikum.
Sie hatte mich bereits kennen gelernt, aber als sie meine Wohnung betrat, fühlte ich mich zu ständigen Rechtfertigung gezwungen.
Ich zeigte ihr das Bild.
Nahm es am Rahmen, zog es hoch, hielt es ihr vor die Nase, schaute kurz drauf, drückte es ihr in die Hand und ging.
„Du siehst ganz anders aus! Das bist du?“, fragte sie.
Ich nahm es wieder, legte es in alter Manier zurück auf den Schreibtisch an den kurz leer gebliebenen Platz.
Als sie weg war, nahm ich es auf und legte es, ohne einen Blick erhaschen zu wollen, in die Fotokiste.
Ich verschloss sie mit Klebeband, drapierte ein Haar, das ich mir selbst ausriss, zwischen Deckel und Box und legte sie behutsam zurück, schob ein Buch darauf, wollte mir die genaue Platzierung merken.
Ich dachte immer wieder an das Bild, prüfte – ohne die Kiste zu berühren – den Standort und machte mir Gedanken um Gedanken über potentielle Diebe und deren Spaß an meinem Leben.
Wochen voller Zweifel folgten.
Ich wünschte mich zurück.
Scheiterte.
Sehnsucht.
Rang um ein Rückwärts.
Das hat sich geändert.
Alles hat sich geändert.
Das weiß ich, weil ich wieder ein Bild von mir aufgestellt habe, ein aktuelles!
Ich sehe genauso aus wie auf dem ersten.
Ich hatte Unrecht, es bedurfte keiner Veränderung um genauso auszusehen.
Die Sehnsucht verschwand und öffnete mir nach Jahren die Brust zum Atmen.