Allerinnerste Innenstadt, ohne Cityglamour und Einkaufspracht, doch Imbiss an Kiosk und Kneipe an Bar. Meine Straße ist grau, gebogen und schmal, wie eine ruhige Insel im Meer; denn vor ihr und hinter ihr braust der Verkehr, dessen unaufhörliches Gedröhn die Straße umschließt wie eine dämmende Wand. Straßenbahnkreischen und Autogehup, unterbrochen vom schrillen Martinshorn, sind Geräuschkulissen hinten und vorn.
Die Straße ist still, die Straße ist grau und über ihr hängt der Geruch von Pizza, Kebap und Döhner. Aus einer Kneipe schallt Musik von "de Höhner". Dazwischen vergessen ein Jugendstilhaus neben schlichten Fassaden. Ein türkischer Laden mit Obst vor der Tür.
Ein Friseur und ein Schuster warten auf Kundschaft. Das Leihhaus sieht geschlossen aus. Der Besitzer des Copyshops steht in der Tür. Bleiben heute die Studenten aus? Die Restaurants sind alle noch zu, künden Betrieb für den Abend an: Eine brasilianische Band in einem Lokal. Das Publikum ist ja international.
Leer ist die Straße bei Tageslicht. Parkende Autos stehen dicht an dicht. Politessen, nach Parksündern auf der Jagd durchstreifen die Straße mit wachem Blick. Ein Fahrradfahrer radelt zurück,gegen die Richtung, doch ungeahndet. Nach kleinen Sündern wird nicht gefahndet.
Nur wenige Fußgänger sind auf der Straße. da ist die rotgelockte Dame mit Hund, die ältere Frau, nie ohne Sohn. Der nähert sich den Fünfzigern schon. An der Ecke stehen zwei Männer und rauchen, ein paar Frauen mit Kopftuch geh`n rasch vorbei. Ein Kinderwagen schiebender Mann sieht sich die Preise der Kneipen an.
Zwei Frauen schauen aus Fenstern heraus, die eine füllt ihres vollständig aus. Ihr Lebensinhalt scheint Neugier zu sein. vielleicht ist sie auch einsam und ganz allein. Die andere trägt zu jeder Tageszeit einen rosa Morgenrock. Jetzt beobachtet sie den Mann mit Schläfengelock im langen schwarzen Mantel mit Hut, der wohl aus der Synagoge kommt. Oder sie sieht den Bauarbeitern zu, die am Haus gegenüber ein Gerüst errichten.
Da ist auch ein Container mit Bauschutt postiert. Hier wird ja ständig renoviert. Die Sraße soll wieder schöner werden, so wie sie vor dem Krieg einmal war. Vor der Eckkneipe hält ein Wagen mit Bier. Der steht fast jeden Morgen hier, nimmt Leergut zurück und versorgt den Wirt mit frischen Getränken für das< abendliche Publikum.
Am Abend erwacht dann die Straße zum Leben. Da, wo Imbiss an Kiosk und Kneipe an Bar, wird laut sie und rege, erfüllt mit Musik. Menschen aller Hautfarben bevölkern sie dann mit Gesprächen, mit Lachen, selten mit Streit. Asiaten, Perser, Afrikaner,Türken, Europäer und Inder gebärden sich, als seien sie einer Mutter Kinder.
Sie stehen in Trauben vor den Kneipen am Eck, diskutieren und singen und scheren sich einen Dreck um den Schlaf der Leute in der Nachbarschaft. Das ist`s, was sie mir liebenswert macht. Sie sind unbekümmert, lebendig und froh. Ich mag das so. Dann steh´auch ich am Fenster und blicke hinab in die hell-laute Straße,die am Tage so grau und leer. Ichliebe sie sehr, meine Straße.
Dein Essay entspringt einer recht guten Beobachtungsgabe und, bei der Wiedergabe der Impressionen, eines Sinns für Details.
Da ich solche Straßen kenne, entstehen beim Lesen sehr lebendige Bilder in meinem Kopf. - Vielleicht machst Du daraus eine Geschichte, indem Du die Menschen, die Du offenbar beobachtest hast, zu Wort kommen lässt. Ich kann mir vorstellen, dass es da eine Menge zu erzählen gibt.
Hallo Hinrich, schön, dass Dir das Gedicht über meine Straße gefällt. Deine Anregung nehme ich dankend entgegen und werde sie mir durch den Kopf gehen lassen. Schöne Grüße, Rose