Es stand ein Apfelbaum am Ufer eines kleinen Weihers im schönen Oldenburger Land, mitten in den Dammer Bergen. Er stand nicht allein auf weiter Flur oder gar zufällig dort, nein, ein liebes Kind hatte ihn und die anderen Bäume - eine schöne Trauerweide, die ihre langen, grünen Federzweige immerzu eitel in dem Wasser spiegelte und eine kraftvolle Eiche - in seiner unmittelbaren Nachbarschaft gepflanzt. Sie und das Gras zu seinen Füßen, der kleine, blaue Weiher vor ihm und das zottelige Schilf leisteten ihm Gesellschaft.
Es lebten viele Tiere in dem See und von ihm. Frösche und Libellen belebten ihn genau so wie Enten und Blässhühner; sogar Reiher standen manchmal unbewegt in seinen flachen Zonen, und der Apfelbaum erfreute sich täglich an dem Getue dieser Tiere. Auch kamen im Frühjahr viele Zugvögel vorbei, und da der Weiher viel Futter zu bieten hatte, rasteten sie im Frühling und Herbst an seinem Ufer, schliefen des nachts auf ihm und waren so sicher vor dem Fuchs und außerdem satt und gestärkt für die Weiterreise.
Der Apfelbaum freute sich sehr über diese willkommene Abwechslung. Im Frühling blühte er aus lauter Lebensfreude weitaus reichhaltiger und schöner als seine Kollegen auf den Plantagen oder langweiligen Feldern. Im Herbst hingegen dankte er den Tieren mit den saftigsten und süßesten Früchten weit und breit. Dunkelrot, dick und prall sahen seine Äpfel aus, mit glänzender Schale - und jeder, der einen solchen Apfel sah, bekam gewaltigen Appetit in eine so schöne Frucht zu beißen. Der Baum verteilte großzügig davon und freute sich, wenn es den Menschen und Tieren schmeckte.
Im Weiher lebte auch ein Schwanenpaar. Es lebte schon seit allen Zeiten dort, denn die beiden waren ein verzaubertes Liebespaar. Sie hatten sich aus tiefstem Herzen gewünscht für alle Zeit auf der Erde, für immer und immer zusammen vereint, an diesem schönen Weiher leben zu dürfen. Und in genau diesem Moment war eine Fee, die gerade gelangweilt durch die Zeit schwebte, vorbeigeflogen. Sie hörte diesen Wunsch, und weil sie gerade nichts anderes zu tun hatte, ihn sogleich erfüllt, indem sie die Liebenden in schneeweiße, majestätische Schwäne verwandelte. Nachdem das geschehen war, sprach sie sodann zu ihnen: "Von nun an seid ihr beide auf immer vereint an diesem Ort. Unsterblichkeit habe ich euch verliehen und keine Krankheit, kein Schuß, kein Tier kann Euch je vernichten. Lebt nun wohl und lebt glücklich und zufrieden, vielleicht werde ich euch einmal besuchen und schauen wie es euch geht......" sprachs und verschwand mit einem seltsamen Lächeln auf dem Gesicht.
Die beiden Schwäne hatten sich verdutzt angesehen und gewundert, doch dann hatten sie begonnen sich zu freuen, denn nun konnten sie für immer und immer zusammen leben, hier an diesem schönen Weiher im Oldenbuger Land.
So gingen die Jahre dahin und der Apfelbaum konnte sich an ihrem Glück gar nicht satt sehen. Doch als Jahr um Jahr und viele Kinder der beiden schon längst fort waren oder schon lange nicht mehr lebten, sah er, daß das Schwanenpaar sich sehr, sehr langweilte und daß einer dem anderen vorwarf, er habe diesen unseligen Wunsch ausgesprochen, so daß sie nun für immer und immer und alle Zeiten aneinandergekettet an diesem langweiligen Ort, an dem nie und nie etwas passierte, leben mußten...
Durch das enge Beisammensein hatten sie die Liebe verloren, und jeder von ihnen wollte nur noch von dem anderen weg, endlich einmal etwas anderes sehen und erleben. Es gab sicher noch andere Wasser, zu denen sie sich hätten aufmachen wollen, doch durch den Zauberspruch der Fee war ihnen das verwehrt und sie hatten schon seit langem erkannt, daß dieser Spruch ein Fluch war.
Der Apfelbaum, der dieses alles beobachten mußte und dem das leid tat, fing an darüber nachzusinnen, wie er die beiden erlösen könne. Jahr um Jahr grübelte er darüber nach. Er fragte jeden ankommenden Vogel, jedes Reh, jeden Frosch, ob sie die Fee gesehen hätten. Doch keiner hatte sie je gesehen, aber wenn sie sie träfen, würden sie ihr den Wunsch des Apfelbaumes und der beiden von ihr verzauberten Schwäne mitteilen.
So verging wieder Jahr um Jahr, und die beiden Schwäne stritten sich von morgens bis Sonnenuntergang. Es gab Tage, da sprachen sie überhaupt nicht mehr miteinander und dann wieder Tage, an denen das Schwanenweibchen lange auf einem Stein am Ufer saß und dicke Tränen weinte. Die schönen weißen Federn der beiden aber leuchteten wie eh und je strahlend; und immer, wenn einmal ein Mensch oder ein Paar an diesen Weiher kam, bewunderten sie die beiden und freuten sich über das majestätische Dahingleiten der beiden Schwäne.
Der Apfelbaum aber dachte und grübelte immer noch darüber, wie er ihnen helfen könne. Und als er gerade ganz besonders tief versunken brütete und nachsann, kam eine Blumenfee durch die Zeit geflogen und setzte sich (es war gerade Frühling), auf eine seiner lieblich duftenden Blüten. "Hallo", sagte der Apfelbaum, "bist du eine gute Fee?" Die Fee bejahte das und fragte ihn, ob er einen Wunsch hätte, denn sie hätte eine große Seifenblase voll davon und könne ihm sicher etwas Schönes erfüllen.
Der Apfelbaum erzählte ihr nun die Geschichte der beiden Schwäne und trug ihr seinen Wunsch vor. Die Fee aber schüttelte traurig den Kopf: „ Nein mein lieber, guter Apfelbaum, ich kann die ausgesprochenen Wünsche meiner Schwester nicht rückgängig machen, das ist ein unausgesprochenes Gesetzt unter uns." Nach einer Weile aber sprach sie, daß sie, da er ja so ein selbstloser, lieber Kerl sei, eine seiner Blüten mit magischer Energie aufladen würde. Aus dieser Blüte könne dann ein Apfel mit großer Kraft in sich entstehen, und wenn der Baum sich große, große Mühe gäbe, könne er dem Apfel eine ganz bestimmte Kraft verleihen. Sie beugte sich nun vor und flüsterte ihm diese Fähigkeit des Apfels in ein Astloch, denn nur er allein dürfe wissen, daß der Apfel den Zauber der ersten Fee umändern könne. Es müßte nur ein Liebespaar, wie es einst die beiden Schwäne waren, von diesem Liebesapfel essen, und der Zauber würde von den Schwänen genommen. Der Baum überlegte kurz und stimmte dann zu, und weil die Fee gerade so schön und gemütlich auf einer Blüte saß, flößte sie gerade dieser ihre magische Energie ein. Und dann – pling – verschwand sie so schnell wie sie gekommen war.
Der Sommer zog ins Land, und unter dem Gezanke und Geschrei der beiden Schwäne bildete sich der verzauberte Apfel immer schöner hervor. Die übrigen Früchte waren zuerst fade und blaß geworden, dann hatte der Baum sie verloren, denn er gab sich große Mühe, alle Kraft in diese eine Frucht zu bringen, so war kein anderer Apfel geblieben und seine Blätter waren auch recht mager. Doch das störte den Apfelbaum nicht, er hegte und pflegte den einen Apfel, damit dieser schön, prall und leuchtend werden würde. Weit oben saß die Frucht, denn keiner durfte sie pflücken.
So stand der Baum wartend. Und eines Tages im Herbst (er hatte nun alle Blätter verloren), kam ein Pärchen vorbei, stellte sich still unter den Baum und sah dem Schwanenpaar zu, während es wie immer majestätisch stolz durchs Wasser glitt , und sie beide dachten, wie schön es doch wäre, hier an diesem friedlichen Weiher für immer und immer vereint zusammen leben zu können.
Da plumpste hinter ihnen der Apfel zu Boden und kullerte den leichten Hang hinunter, blieb just genau vor ihren Füßen liegen. Der Mann hob ihn auf, besah ihn prüfend und ihm lief das Wasser im Munde zusammen. "Komm Liebchen," flötete er, "lasse uns diesen Apfel zusammen essen," und während sie aßen, stellten sie sich vor, wie schön es doch wäre, hier am kleinen Weiher im schönen Oldenburger Land für immer und immer.............
Herrlich, liebe Helga! Und so wunderbar fesselnd geschrieben. Aber ein bissel böse warst Du schon, gell? Die Armen Ja ja, sei vorsichtig mit dem, was Du Dir wünschst - es könnte in Erfüllung gehen...
Liebe Helga, diese phantastische Geschichte habe ich schon paarmal gelesen. Nur wundere ich mich,das hier kein Kommentar von mir steht. Hattest Du das woanders schon einmal platziert? Komisch - egal wie - die Geschichte ist toll!!
Was man nicht aufgibt,hat man nie verloren (Friedrich Schiller)
Steffi, ja ein büschen gemein war ich schon, aber das Leben ist auch manchmal gemein und nicht immer endet es mit: so lebten sie glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende, und wenn sie nicht gestorben.........
Nein Bernd, diese Geschichte ist funkelniegelnagelneu entstanden. Du kannst sie höchstens in meinem Notizbuch gelesen haben, wo sie 20 Jahre darauf wartete endlich in den PC getippt zu werden. Aber dieses Notiz buch ist für alle und alle auf immer und immer verschlossen
laß mich raten: Du warst süße siebzehn und bis über beide Ohren verliebt - Du hattest immer schon eine blumige Phantasie und kontest Dir ausmalen, wie schön es doch wäre, immerzu in solch zärtlicher Glückseligkeit zu schweben.
Das Paradies und der Apfelbaum ........ Die alten romantischen Geschichten.
Wann hast Du "Dein Märchenbuch" fertig ? Ich möchte gern wissen, was da noch alles bei Dir schlummert - was Du in Deinem Tagebuch geheimnisvoll bewahrst.
Hinrich, nö, ich war zartbittere 37 Jahre alt und von Verliebtheit keine Spur, eher etwas partnermüde....... In diesem und anderen Notizbüchern gibt es noch unendlich viele Geschichten und immer wenn mir danach ist, nehme ich mir eine vor
Hallo liebe Helga!! Wunderschön deine Geschichte,bin gerade von der kleinen Reise zurück in die deine Geschichte mich gschickt hatte,schöne Bilder taten sich auf !!In deiner Geschichte steckt viel Wahres/Weisheit obwohl ich als older Romantiker immer noch fest daran glaube/besser gesagt,das Glückhabe es jeden Tag neu zu erleben,das Liebe endlos sein kann,ja das sie sogar durch Wachstum und Erfahrung an Schönheit trotz vieler vergangener Jahre gewinnen Kann!!
Übrigens lieben meine Frau und ich Äpfel ...werden sie demnächst nur noch in der Nähe von Schwänen essen..vieleicht hilft`s! LG Frank
Liebe Helga, eine zauber- und märchenhafte Geschichte, in der viel Lebens- erfahrung steckt. Ein wunderbares Werk, ich werde es bestimmt noch mehrere Mal lesen. Liebe und liche Grüße zu Dir, Karin Lissi