Strandkorbgeschichte

Der letzte Strandbesetzter an diesem Tag riss seinen gebannten Blick von der See, stand aus seinem Schneidersitz auf und ging verträumt seines Weges.
Nun war Ruhe eingekehrt. Nur noch die kleinen Wellen, die sich an den Strand drängten und wieder zurück in ihr kühles Zu hause flossen, ließen ein angenehmes, stetiges Rauschen vernehmen.
>>Ich glaube sie sind alle weg!<<, sagte Nr. 46.
>>Ich glaube du hast recht.<<, bestätigte ihm Nr. 53.
Kurz blieben sie wieder ruhig, um wirklich sicher zu gehen, dass sie niemand gehört hatte. Langsam blickte der volle Mond über den Rand des Horizonts und kündigte eine helle und freundliche Nacht an.
>>Wie war dein Tag heute?<<, fragte Nr. 46.
>>Ach was soll ich sagen…? Es ging so.<<
>>Wieso das denn? Die Urlaubszeit ist doch schon längst vorüber. Freust du dich nicht über die Entspannung, die du jetzt genießen kannst?<<
>>Doch, aber heute war ein mies gelaunter Geschäftsmann bei mir. Hat auf seinem Laptop rumgehämmert und immer wenn er sich geärgert hat, hat er mir in die Seite geschlagen. Das war nicht schön.<<
>>Das glaube ich dir.<<
>>Danach ging es etwas ruhiger zu. Ein Student hat in seinem langweiligen Buch gelernt. Lauter Zahlen und Striche. Wer soll das schon verstehen? Stunden hat er darin gelesen und sich kaum bewegt. Ab und zu hat er in seine Tasche gegriffen und ein Stück Brot raus geholt, was ziemlich gekrümelt hat. Ich bin total dreckig. Schau mich doch an.<<
>>Da hatte ich etwas mehr Glück. Heute schon in aller Frühe kam ein frisch verliebtes Pärchen, um sich den Sonnenaufgang anzusehen. Haben ihn aber leider verpasst, weil sie sich nicht voneinander losreißen konnten. Ich verstehe dass nicht wie sich zwei Menschen so lange, ohne Unterbrechung küssen können. Trotzdem hatte ich meine Freude daran. Als sie gingen stand ich eine zeitlang leer da. Das war ganz erholsam, aber trotzdem fehlte mir etwas Unterhaltung. Als hätte ich eine Zeitreise unternommen, erschien ein älteres Ehepärchen. Bestimmt schon um die 70. Haben sich aber geküsst wie die zwei Jugendlichen zuvor. Nur nicht ganz so schnell. Und Luft haben sie auch mal zwischen drin geholt. Sie gingen dann später und machten Platz für einen Spaziergänger mit seinem Hund.<<
>>Ich hoffe der Hund hat sich nicht auf dich gesetzt!<<
>>Nein, der war ganz brav. Hat seinem Herrchen immer wieder das Stöckchen aus dem Wasser zurückgeholt. Was machst du über die Winterzeit eigentlich?<<, wechselte Nr. 46 das Thema.
>>Ich? Ich werde wohl wieder in Halle 3 gehen. Das ist die größte und schönst die ich kenne.<<
>>Halle 5 ist aber auch nicht schlecht. Also ich werde, glaube ich, in ein Geschäft zwangsversetzt. Soll dort einfach nur rumstehen.<<
>>Nur rumstehen? Du wirst doch bestimmt auch benutzt! Denn einfach nur zum rumstehen und gut aussehen wird niemand über die Winterzeit geholt.<<
>>Vielleicht hast du recht. Ist mir auch lieber so. Was soll ich den ganzen Tag nur blöd in der Gegend rumstehen, wenn ich anderen Leuten zur Erholung bereitstehen könnte.<<
>>Du musst mir unbedingt erzählen wie es war.<<, sagte Nr. 53, in der Hoffnung, dass sie im nächsten Jahr vielleicht zusammen ein Geschäft unsicher machen könnten.
>>Mach ich! Welcher Tag ist eigentlich heute?<<
>>Wenn ich richtig zähle müsste heute … Warte … Ja, heute müsste Samstag sein.<<
>>Och nein. Die Woche geht viel zu schnell vorüber.<<, jammerte Nr. 46.
>>Was ist denn jetzt?<<
>>Sonntags kommt doch immer die dicke Müller. Die regt mich auf. Nicht nur das sie so schwer und breit ist, ihr Mann hat auch immer wieder Probleme sie dazu zu bewegen mit nach Hause zu gehen.<<
>>Stimmt, die kommt morgen wieder in aller Frühe. Du Armer.<<, meinte Nr. 53 ehrlich >>Ich sehe es noch kommen, die macht dich ganz kaputt.<<
>>Ja! Die nimmt überhaupt keine Rücksicht. Erinnerst du dich noch an meine kaputte Fußstütze?<<, ohne eine Antwort von Nr. 53 abzuwarten, redete er weiter >>Das war sie. Es hat drei Wochen gedauert, bis ich wieder geheilt war. Solang konnte mich niemand richtig nutzen. Deswegen war ich oft nie ausgelastet mit Leuten.<<
>>Zum Glück habe ich nicht so eine Stammkundin.<<, atmete Nr. 53 erleichtert auf.
>>Ich glaube ich bin der einzigste hier am Strand, der eine Stammkundin hat.<<
>>Du hast ja auch den besten Blick auf`s Meer hinaus.<<
>>Da hast du wohl recht. Trotzdem! Der morgige Tag ist für mich schon gelaufen.<<
Um seinen Nachbar aufzuheitern erinnerte sich Nr. 53 an den Sommer >>Aber alles in allem war dieser Sommer doch toll für uns gelaufen. Oder nicht? Denk doch an die schöne Hochzeit hier am Strand. Die Gäste auf dieser Feier waren außerordentlich glücklich darüber uns als Sitzgelegenheit zu haben.<<
>>Die haben das richtig genossen. Nicht wahr? So weit ich das rausgehört habe, sind die aus dem Süden gekommen. Dort kennen die so was nicht.<<
>>Wir waren neu für sie.<<, strahlte Nr. 53.
>>Und in ein paar Filmen sieht man uns auch.<<
>>Ja ich hätte die Serie gerne mal gesehen. Aber egal. Wir sind bekannt, wir zwei und deswegen werden wir nicht so schnell abgeschoben wie manch andere von uns. Wir sind robust.<<
>>Ganz recht. Und den Winter werde ich auch gut in dem Laden überstehen.<<
>>Dann sehen wir uns im nächsten Sommer wieder, in alter Frische.<<
>>So sieht`s aus. Und ich denke, ich muss die Müller nur noch morgen überstehen. Denn ich habe gehört, dass wir am Donnerstag abgeholt werden.<<
>>Am Donnertag schon? Geht aber schnell. Obwohl, wenn ich es mir so überlege… Die gelb gestreiften sind vor zwei Tagen schon abgeholt worden. Dann wird es höchste Zeit für uns.<<
>>Wir werden eben immer als Letztes abgeholt, weil wir die besten Strandkörbe an diesem Strand sind. Wir sind noch aus dem alten Holz geschnitzt.<<
>>Stimmt.<<, sagte Nr. 53 stolz >>In Halle 3 wird man auch gut betreut. Das Holz wird neu lackiert, unsere Plane wird gewaschen oder erneuert, Schrauben ersetzt und geölt. Was will man mehr. So komme ich jeden Sommer von neuem hierher, sehe blendend aus und quietsche an keiner Stelle. Zudem passieren hier immer wieder die tollsten Sachen.<<
>>Bin ganz deiner Meinung.<<, sagte Nr. 46 >>Von hier möchte ich auch nie wieder weg!<<

ENDE

© by Ulrich Burger

Eine tolle Idee, Strandkörbe erzählen zu lassen. Auf so etwas muss man erst einmal kommen. Gratuliere dir zu dieser überaus gelungenen Geschichte.