Diese Geschichte hatte ich schon im Forum veröffentlicht, finde es aber schade, dass sie da so versauert. Deshalb also hier nochmal:
Himmel aus Seide
Was machen Nachkriegskinder, wenn sie keinen Garten, aber Gelüste auf einen leckeren Apfel haben? Sie gehen in fremde Gärten und klauen sich dort einen.
Ein solches Kind war auch ich.
In den Gärten rund um den Stadtpark kannte ich ganz bestimmte Bäume, die ich immer wieder aufsuchte, um zu räubern. In welchem Garten die besten Birnen oder Pflaumen waren, wusste ich ganz genau. Leider wurde mir diese Unart später zum Verhängnis, doch das ist eine andere Geschichte. Hier möchte ich nur von meiner Liebe zur Natur berichten.
Ich hatte das Glück, in der Nähe des Hamburger Stadtparks mit seinen wilden Ecken und dem großen See zu wohnen. Dort verbrachte ich so manche Stunde auf einer großen Kastanie. Für ein so wildes, mutiges Kind war kein Baum zu hoch, kein Gebüsch zu dicht oder zu kratzig. Erst heute, während ich dieses schreibe, fällt mir auf, wie sehr ich mich in meinem Er- wachsenendasein verändert habe. Denn wenn ich Kinder sehe, die auf Bäume klettern, stehen mir die Haare zu Berge. Ich kann es kaum mit ansehen vor lauter Angst, sie könnten herun- terfallen. Auch denke ich dabei an die Vögel, die in diesen Bäumen nisten und sicherlich gestört werden und bitte die Kinder darauf zu achten.
Auch gegenüber unserem Wohnhaus konnte ich Natur erleben. Dort befand sich der Bahndamm, überwuchert von Bäumen, Sträuchern und wildem Kraut. Er wurde ab meinem fünften Lebensjahr für mich zur Märcheninsel. Vor dem direkten Bahndamm stand ein Lattenzaun, und dort war mein Spielplatz. Inmitten von hunderten Exemplaren Essigrosen, einem wunderschönen Gold- regen, den ich als einen Lieblingsbaum auserkoren hatte, sowie einigen Fliederbüschen, Erlen und Weißdorn.
Die Essigrosen waren im Verhältnis zu meiner Körpergröße riesig, und ich verschwand gerade- zu zwischen ihnen, wie Gulliver im Land der Riesen. Die Bienen und Hummeln, die sich ständig laut brummend in den weit geöffneten Blüten tummelten, verführten mich dazu, die weit geöff- nete Blüte vom Stiel her zart mit der Hand zu umfassen und ganz leicht und vorsichtig zusam- menzudrücken. Die darin befindliche Hummel fing daraufhin wütend an zu brummen, und es kitzel- te derart stark in meiner Handfläche, dass ich laut lachen und die Hand schnell wegziehen musste. Ich erinnere mich an den Gesang der vielen Vögel, wenn ich im Goldregenbaum saß, ganz still, und nur ihnen lauschte. Sah ich nach oben in den hellblauen Himmel, glaubte ich allen Ernstes, er sei aus reiner Seide.
Hier fand ich mein Paradies.
Die Sommer über hielt ich mich hier auf und sah Vögel, Insekten und Blüten und atmete den Duft der Natur ein. Ich sammelte Marienkäfer, nahm sie mit nach Hause, setzte sie in unsere Zimmerpflanzen und war enttäuscht, dass sie dort nicht bleiben wollten. Ich bestieg einen engen Weißdornbusch, um die jungen Amseln in ihrem Nest zu beobachten, leise, ganz leise, um sie nicht zu stören. Ich zerkratzte mir Arme und Beine an den Rosen und zankte mit den Brennnesseln, weil sie mich schon wieder „gebissen“ hatten.
Doch der schönste aller Bäume, noch viel schöner als der Goldregen, war ein alter Rotdorn, der, für mich unerreichbar, hinter dem grünen Lattenzaun direkt am Bahndamm vor den Schie- nen wuchs. Im Frühling, wenn er sich mit seinen magentaroten Blütenröschen schmückte, ging ich immer wieder hin, ihn anzuschauen und zu bewundern. Es war mir strenstens verboten, den Lattenzaun auf irgendeine Weise zu überwinden, Der Bahndamm bedeutete Gefahr, weil alle paar Minuten eine Hochbahn aus der einen oder anderen Richtung kam. Doch für die Blüten dieses Baumes überwand ich meine Angst, quetschte mich zwischen zwei lockeren Latten hin- durch, brach vom Baum ein Blütenröschen ab und schenkte es Eva, meiner damaligen großen Liebe. Wir waren gerade fünf Jahre alt.
Bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr wohnte ich an diesem Bahndamm. Obwohl ich wegzog, blieb die Liebe zu dem Rotdorn, dem Goldregen und überhaupt zur Natur. Noch heute freue ich mich jedes Jahr auf die Zeit, wenn meine beiden Lieblingsbäume endlich wieder blühen.
Als ich nach dreißig Jahren an diesen Ort zurückkehrte, konnte ich es nicht erwarten und ging in die Straße, um mir noch einmal die Pflanzen meiner Kindheit anzusehen.
Mich erwartete eine herbe Enttäuschung. Keine einzige Rose hatte überlebt. Der schmale Streifen vor dem Zaun war sauber aufgeräumt, kein Busch, kein Weißdorn oder Flieder waren zu sehen, nur einige weit auseinanderstehende Bäume standen dort. Auch der Goldregen hatte nicht überlebt, ebenso wenig wie der Rotdorn.
heute zu später Stunde finde ich Zeit hier im Gedichtehaus zu schmöckern. Da ich dies zum ersten Mal bewusst mache, nicht um hier an meiner Geschichte zu schreiben, sondern weil es mir ums lesen ist. Habe heute ganz spontan bei Dir angefangen, wieso weiss ich nicht, ist ja auch egal. Werde natürlich diese Nacht nicht jede Geschichte die ich gelesen habe kommentieren, aber wenigstens diese hier. Ich bin zwar sonst nicht unbedingt Liebhaber von Kurzgeschichten, weil jedesmal wenn man zu lesen begonnen hat, ist sie auch schon wieder vorbei. Aber bei Dir Helga ist es anders, Du schreibst sehr gut, sehr lebensnah und man fühlt sich, als ob man bei deinen Erlebnissen dabei gewesen wäre.
Ich finde es unglaublich, dass Du dich noch so gut an Deine Jugendzeit erinnern kannst, das kann ich leider nicht und vor allem fände ich nichts, was sich lohnen würde, darüber zu schreiben. Das soll nicht heissen, dass ich keine schöne Jugend hatte, aber irgendwie ist alles einfach weg.
Manchmal wenn ich über mich nachdenke und dieses Forum hier, ermöglicht es mir in seiner Vielfalt, tief in mich zu gehen und über vieles nachzudenken, dann frage ich mich manchmal, ob ich schon so alt zur Welt gekommen bin, wie ich bin?
Liebe Helga ich danke Dir für diese Geschichte, ich kann viel herauslesen, stelle mir Dich als den Menschen dahinter vor und merke dass ich gar nicht so schlecht liege. Ich bin froh dass ich Dich kennenlernen durfte hier im Forum.
In diesem Forum gibt es viel zu entdecken und es ist für mich unmöglich, all die schönen Gedichte und Geschichten täglich zu lesen. Doch es bereitet mir immer wieder ein großes Vergnügen, wenn ich für einige Zeit bei Euch ausspannen kann.
Deine Geschichte hat mich berührt und ich erkenne mich selbst darin wieder. Als Kind habe ich stets in den großen Schulferien einen blauen Himmel über Hamburg-Fischbeck bewundert. Solch ein schönes Blau kannte ich von meinem Zuhause nicht. Nie werde ich die schöne Zeit vergessen...mit Bäume klettern, Wasser aus einem Brunnen hinter dem Haus holen, saftige Pfisiche pflücken, Ohrkrabbler streicheln, durch die nahe Heide strolchen, die Gänse um ihre schönen Federn beneiden...in der Scheune die kleinen schwarzen Katzen liebevoll umsorgen...mein Gott, was war ich damals glücklich!
Danke...liebe Helga...... für die wunderschönen Beschreibungen und ich schäme mich nicht...ich habe ein ganz klein wenig geweint. Und wie gut verstehe ich Deine Trauer um den schönen alten Rotdorn...
Liebe Grüße
Janet
Lächeln ist wie ein Fenster, durch das man sieht, ob das Herz zu Hause ist.
Liebe Janet danke für das lesen meiner Geschichte. Die Fischbeker Heide soll sehr schön sein, kenne sie nur flüchtig. Aber das nur nebenbei. Ja, die Kindheit scheint manchmal so unkompliziert, jedenfalls in der Erinnerung. Dabei gibt es so viel Negatives zu berichten...... doch davon sehe ich einfach ab. Ich entdecke meine Kindheit einfach neu, hole mir die schönen Erlebnisse her- vor und bin dann glücklich mit ihr. Es freut mich immer besonders, wenn bei den Lesern Gefühle entstehen, so wie du es schreibst. Dann hat das veröffentlichen einen Sinn. Danke dir für deine schönen Worte und ich freue mich, dass du beim lesen etwas abschalten konntest. Lieber Gruß Helga
Liebe Gabi, erst einmal vielen Dank für die Zeit, meine Geschichten zu lesen. Es hat mich sehr gefreut.
Über deinen Kommentar bin ich sehr erfreut, es ist einfach schön zu sehen, dass andere meine Geschichten mögen und sie zum nachdenken anregen.
Das du schon so alt zur Welt kamst und es womöglich nichts Schönes in deinem Leben gab über das du berichten könntest, ist natürlich nicht real. Es kommt dir nur so vor und ich denke darüber nach, warum das so sein könnte. Mir kommen da viele Gedanken, über die ich hier aber nicht sprechen werde, vielleicht, wenn du mal mehr wissen möchtest über meine Gedanken, können wir ja mailen.
Tja, Kurzgeschichten sind kurz, , deshalb schreibe ich sie. Ich denke immer, so eine Langgeschichte interessiert keinen, dabei könnte ich damit wohl auch aufwarten, doch das bedarf natürlich auch einer ganz anderen Vorbereitung.
Ich möchte jedenfalls noch mal sagen, wie sehr ich mich freute über dein lesen und den Kommen- tar. Es ist mir irgendwie eine besondere Ehre zuteil geworden, danke dir. Und, liebe Gabi, ich bin auch froh dich hier im Forum kennenzulernen, gerne näher, denn was ich bisher von dir las hat mich beeindruckt, und ich bin gerne beeindruckt.... Ein ganz lieber Gruß an dich Helga
Liebe Helga, schon der Titel deiner Kurzgeschichte ist berührend, so wie deine Gefühle schon von Kindesbeinen an für die Natur. Feinfühlig hast du all das wunderbar in "Szene" gesetzt, mir wurde dabei ganz warm ums Herz. Ein kleiner Lausbaub warst du und hattest vor Gefahren keine Angst und konntest daher viele schöne Naturereignisse wahrnehmen, die dir unvergesslich bleiben werden. Wenn man nach Jahren einen Ort des Glücklichseins aufsucht, wird man oft sehr hart enttäuscht, aber die Erinnerungen kann niemand auslöschen. Liebe Grüße in dein , Karin Lissi
Danke Karin Lissi. Du hast Recht, ich war eher Junge als Mädel Meine Mutter hatte ihre wahre Not mit mir. Die Liebe zur Natur habe ich heute noch, der Grundstein wurde sicher an diesem Bahn- damm gelegt. Danke dir fürs lesen und liebe Grüße, Helga
Hi, Helga, ist das nicht toll, wenn man solche scheinbarenKleinigkeiten so in sich einbrennt, daß man später immer wieder gerne daran denkt? Das nimmt einem keiner,und mit Sicherheit weißt Du heute noch ganz genau, wie das damals alles gerochen hat.
Liebe Lizzy, du hast es erkannt. Diese "scheinbaren Kleinigkeiten" haben mir ermöglich meine Kindheit zu überleben. Vor allem ist es so, dass ich sie mir heute immer wie- der hervorhole wenn ich keine anderen Erinnerungen als die Schlechten im Kopf und im Gefühl habe. Es gibt ein Buch, das heißt so ähnlich wie "wie man doch noch eine glückliche Kindheit haben kann", da ist diese Praxis beschrieben. Sich versuchen die schönen Erlebnisse so zurückzuholen, dass sie das momentante schlechte Gefühl überspielen und vergessen lassen. Das mache ich, manchmal mehr, manchmal weniger. Je nach dem wie stark die negativen Gefühle und Gedanken in mir wühlen.
Danke für das Lesen dieser Geschichte und deinen lieben Kommentar
liebe helga ,du hast uns mal wieder mit auf erinnerungtour genommen und ich muss dir gestehen,ganz unsichtbar habe ich dich begleitet, wunderschöne beschreibung...
Liebe das Leben,dann liebt es auch dich.
Helga Treue Seele
Beiträge: 2.808
28.07.2006 22:55
RE: Himmel aus Seide
Danke Su, ich muß leider gestehen, dass mein Fundus aus vielen halben Geschichten besteht. Deshalb greife ich schon mal auf die bei e-storys und auf meiner HP veröffentlichten zurück. Aber bald kommen mal wieder neue von mir, habe im Kopp schon so einiges in Arbeit und werde dann die alten, angefangenen mal konsequent beenden.
Sieka, ich danke dir für die Worte. Es ist ja nichts passiert in dieser Geschichte, sind nur ein paar Erinnerungen, lach. Aber es macht Spaß und freut mich auch wenn jemand sie mag. Du kannst tun was du möchtest, aber tu es so, dass es anderen nicht schadet
Camaela Treue Seele
Beiträge: 2.127
29.07.2006 18:12
RE: Himmel aus Seide
...du schenkst mir mit deinen wunderbaren Geschichten immer ein Stück Hamburg...
* ich will so bleiben wie ich bin ;) *
Helga Treue Seele
Beiträge: 2.808
30.07.2006 11:46
RE: Himmel aus Seide
...das freut mich Camaela Du kannst tun was du möchtest, aber tu es so, dass es anderen nicht schadet
Die Poesie heilt die Wunden, die der Verstand schlägt Novalis