So lautet der Titel meiner Arbeit zu Goethes "Werther", dem wir uns alle schonmal irgendwann beugen mussten oder? Wir erhielten die Aufgabe uns krativ mit dem Werther zu befassen, wobei uns keinerlei Grenzen gesetzt waren. Eine Gruppe hat sich ein Puppenspiel erdacht, eine zweite hat ein alternatives Ende geschrieben usw. Ich habe mich für eine kleine Parodie entschieden, aber ob es letztendlich eine bloße Parodie geworden ist, mögt ihr entscheiden. Macht euch auf etwas gefasst...es ist ziemlich ausfürhlich geworden.
Erstes Buch
Zum Glück bin ich jetzt hier. Sicher zuhause. Hätte ich noch 5 Minuten länger in der Schule bleiben müssen, wäre ich wahrscheinlich durchgedreht. Bis heute habe ich diesen Ort eher als eine Art "Kindergarten für Fortgeschrittene" gesehen, aber ab dem morgigen tag werde ich wohl eine ganze Weile gerne in den Unterricht gehen. Warum ich dann jetzt so froh bin von da weg zu sein? Naja, ich will es mal so ausdrücken: die allererste Standpauke vom Direktor geht auch an einem wie mir nicht spurlos vorbei. Obwohl sie schon 2 Stunden her ist, klingeln mir die Ohren immernoch. Ich hätte mir ein unverantwortliches Handeln zuzuschreiben - alleine schon der Ausdruck! Ich musste mir kräftig auf die Innenseite meiner Wange beißen um nicht laut zu lachen. Vor meinem geistigen Auge konnte ich nämlich sehen wie dieser Hüne von einem Mann mit erhobenem Zeigefinger vor seiner Mischlingshündin Kira steht, die mal wieder einen ordentlichen Haufen auf die Straße gesetzt hat, und sagt: sie hätte unverantwortlich gehandelt - zum Schießen die Vorstellung. Manche Lehrer gehen eben völlig in ihrem Beruf auf. Eigentlich kann mir das ja egal sein, denn wie heißt es so schön: Was haben Wolken und Lehrer gemeinsam? Wenn sie sich verziehen, wird es noch ein schöner Tag. Blöd ist nur, dass wohl keiner meiner Tage schön wird, wenn es danach ginge, weil meine Eltern beide Pauker sind...ja ich bin ein Lehrerkind, wobei sich das Mitleid doch besser für später aufhebt. Ich für meinen Teil hatte schon nach dem ersten Satz genug von der Rede des Direktors, aber der Vollständigkeit halber, hier noch der Rest: "Soetwas habe ich von dir am allerwenigsten erwartet, Alex und dann auch noch in einer meiner Stunden!" Da sollte ich mich wohl schuldig fühlen. Langsam fing ich an mich zu fragen, wer in der Matheklausur von wem abgeschrieben hatte. Was kann ich denn dafür, wenn mein oller banknachbar seine Stielaugen so weit ausfährt, dass selbst ein Blinder den Braten riecht? "Ich fühle mich genötigt, deine Eltern persönlich über deine Tat zu informieren. Ich hoffe, dass ich dich nicht nocheinmal dabei erwische wie du abschreiben lässt." Na toll, jetzt bin ich auch noch ein Schwerverbrecher und ich hoffe übrigens das selbe. Das war doch sonnenklar. Da lässt der Klassenbeste sich ein mal was zu Schulden kommen und schon steht der Direx persönlich vor der Tür. Solch schweres Geschütz wird nicht mal bei einem versetzungsgefähredeten Schwänzer aufgefahren, aber Alexander Wessel, der ist gemeingefährlich. was für ein Bockmist. Naja eigentlich will ich mich darüber noch gar nicht weiter aufregen. Wenn ich es mir so recht überlege, wäre es besser gewesen, selbst abzuschreiben, da ich die Klausur richtig in den Sand gestzt habe. Das sagt mir mein Bauchgefühl. Ich weiß jetzt schon nicht mehr, was ich da geschrieben habe. Ob meine Eltern mir wohl abkaufen, dass der ungebremste Aufprall auf die Tür des Lehrerzimmers einen aussetzer in meinen grauen Zellen hervorgerufen hat? Immerhin ging die Klausur in der 2. Stunde vonstatten und dieser verdammt peinliche Zwischenfall geschah genau in der Pause davor. Aber halt, wenn ich ihnen davon erzähle, müsste ich die ganze Wahrheit preisgeben. Es sei denn, ich lasse mir etwas einfallen. Also los. Was könnte mich denn noch dermaßen abgelenkt haben, dass ich...genau! Ich war so in ein Gespräch mit Benny vertieft, dass ich die Tür einfach nicht gesehen habe. Das Gute an der variante ist, dass ich nur zur Häfte lüge. Ich habe ja wirklich mit Benny erzählt. Er ist mein bester Kumpel, da kommt das schonmal vor, allerdings bin ich nicht so begeistert von seinen täglichen Ausführungen über Pferde, dass ich mich komplett vergesse und gegen Türen laufe. Während er vom seidigen Fell des Fuchses spricht und damit eine Pferderasse meint, denke ich an kurze Stummelbeinchen, die über den Waldboden huschen. mit dem Thema kann Benny einem ganz schön auf den Wecker gehen, aber man gewöhnt sich dran, weil er ansonsten ja echt in Ordnung ist. Wir machen ungefähr seit 3 Jahren so ziemlich alles zusamen. In die selbe Klasse gehen wir schon seit 4 jahren, aber anfangs konnten wir uns nicht leiden. Über das Rumgezicke damals lachen wir uns heute kaputt. Das war schon fast wie bei den Mädels, sogar die Stimmlage hat gepasst, dem Stimmbruch sei Dank. Ach nee, schon drollig das Ganze, aber wie bin ich da jetzt überhaupt drauf gekommen? Stimmt ja, der Unfall mit der Tür. Ich weiß noch, dass ich Benny mal wieder auf den Arm genommen habe, natürlich nicht wörtlich, aber es ging glaube ich, um Trabanten, bestimmt auch wieder so eine Pferderasse und ich erlaubte mir den Scherz zu fragen, was er denn mit mehreren Monden bzw. mit Pappe aus der DDR wolle. Benny biss an wie geplant und begann auf seine weibische Art zu zetern, als ich beim Gehen für einen kleinen Moment nach links sah. Wie sich wenig später zeigen sollte, einen Augenblick zu lange, denn schon kam mir die Tür entgegen und riss mich von den Füßen. Auf dem Rücken liegend sah ich nur noch Sterne, da mein Hinterkopf mit den steinfliesen Bekanntschaft gemacht hatte, die in der ganzen Schule verteilt sind und angeblich so toll aussehen. Ich konnte Benny hören, der sich über mich gebeugt hatte und mich anschrie. Das bekam ich aber nur am Rand mit. Trotz ziemlicher Kopfschmerzen schlug ich die Augen auf. Diese beine. Ich wollte sie unbedingt wiedersehen. Wie kann man nur solche Wahnsinnsbeine haben? Ich meine, wir haben April, da sieht man schon häufiger lange Beine und kurze Röcke, aber diese Paar war richtig klasse. Leider konnte ich nachdem ich mich aufgerichtet hatte, weder das Mädchen noch ihre Beine auf dem gang sehen, echt schade. Also rappelte ich mich auf, und wollte Benny zuerst rundmachen, weil er mich angeschrien hatte, aber als ich echte Besorgnis in seinem Gesicht sah, überlegte ich es mir anders und boxte ihn nur leicht in die Seite, bei uns eine aufmunternde Geste. "Mensch alex Junge ich dachte wirklich, du machst hier 'nen Abgang. Erschreck mich doch nicht so!", war sein Kommentar. Mittlerweile hatte sich auch die handvoll Lehrer um mich herum verzogen, sodass Benny und ich ohne Probleme zur Matheklausur gehen konnten. Tja, hätte ich mal besser nachgeschrieben.
man könnte annehmen, es sei ein Ausschnitt Deiner Autobiographie, so lebensnah hast Du die Parodie auf den "Werther" geschrieben. Man muß schon genau lesen, um herauszufinden, dass es sich nicht um Dich persönlich handelt. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung, liebe kleine Schriftstellerin.
Das Mädchen geht mir den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf. Na was heißt das Mädchen, wohl eher ihre Beine, denn ihr Gesicht hatte ich nicht sehen können. Wäre diese blöde Tür nicht gewesen, hätte ich sie garantiert angesprochen...naja bestimmt hätte ich das... vielleicht... möglicherweise, ach Mist, wenn ich ehrlich bin friert doch eher die Hölle zu, alsdass ich ein Mädchen anspreche. Ich bin eben schüchtern, auch wenn das schwer zu glauben ist. Eeben hat Benny angerufen und gefargt, ob ich noch lebe. Eine Vorladung beim Direktor spricht sich schnell rum. Den Vorfall mit der Tür ließ er unerwähnt, wofür ich ihm dankbar bin, weil es mir so schon peinlich genug ist. Benny erzählte mir noch, dass ein Mädchen nach mir gefragt hat als ich beim Direktor war. Sie wollte wissen, ob es mir gut geht, sie scheint also meinen Aufprall auf die Tür gesehen zu haben. Fast hätte ich Benny gefragt, was sie für Beine hatte.
Schon komisch. Das Gespräch mit dem Direktor ist genau eine Woche her und von seiner Seite ist rein gar nichts passiert. War alles nur heiße Luft? In den Mathestunden hat er sich jetzt angewöhnt mich zu ignorieren. Wie erwachsen, aber mir soll es recht sein. Das interessiert mich sowieso ales gar nicht mehr. Wer achtet denn schon auf den Unterricht, wenn er diese Beine vor sich hat? Ja, richtig gehört - vor sich hat! Das Mädchen geht jetzt nämlich in die gleiche lasse wie ich und sitzt...hinter mir...nee Quatsch, natürlich vor mir. Ich bin fast vom Stuhl gefallen als sie plötzlich in der Tür stand. Diese Beine rauben einem wirklich den letzten Nerv, aber zugegeben, ihr Gesicht ist auch nicht ohne. Meiner Meinung nach hat sie gelächelt als sie mich gesehen hat. Deswegen habe ich auch gelächelt. Bennys dämlichen Blick von nebenan zufolge, muss das zum Schießen ausgesehen haben. Ich glaube noch zu wissen, dass er mich am Arm gerüttelt hat um mir etwas zu erzählen, aber so richtig reagiert habe ich nicht. Wahrscheinlich hätte ich sogar eine neben mir einschlagende Bombe mit einem Grinsen abgetan. Ich grinse übrigens jetzt noch und weil es so schön war, hat auch unsere Deutschlehrerin das Mädel mit einem Grinsen begrüßt. Dann kam die übliche Prodzedur - sie wurde vorgestellt. Als sie ihren Namen gesagt hat, habe ich mich extrem an ein Abenteuer des Drachen "Tabaluga" (ja mein Gott, da war ich noch klein!) erinnert gefühlt. In der betreffenden Episode lernt Tabaluga eine von Arktos geschaffene Eisprinzessin kennen und verliebt sich in sie. Ihr Name ist Lilli. Die Lilli, die heute vor der Klasse gestanden und von sich erzählt hat, ist aber bestimmt nicht aus Eis. Ganz im Gegenteil. ich wartete ganz gespannt auf DEN Satz. "Meine Eltern und ich sind nach Deutschland gezogen als ich 3 jahre alt war. Meine Wurzeln sind afrikanisch." Bingo. Die Nase, die Lippen, die Haut-das war mir sofort aufgefallen. Sie meinte dann noch, dass ihre Familie schon häufig umgezogen wäre und ihr vater hier in der Nähe einen Job gefunden hätte. Ziemlich verwirrend finde ich aber, dass Lilli dann noch hinzufügte, dass wir doch lieber "Lotte" zu ihr sagen sollten. Es sei ihr Spitzname an den sie sich durch ihren letzte Wohnort gewöhnt habe. Wer ist denn bitte Lotte? Lilli klingt doch viel schöner. Vielleicht ist das ja die Kurzform von "Lilliana" - wie poetisch. Das würde glatt zu Goethe passen. Aus dem namen stürmt und drängt es doch geradezu. nicht Gretchen sondern Lilliana. Ha, gerade fällt mir wieder die Faustinszenierung ein, bei der an der Stelle als, der Erdgeist fragt: "Wer ruft mir?" doch tatsächlich aus einer der hinteren Reihen kam: "das heißt: 'mich'!" was haben wir gelacfht. Goethes "Faust" ist schon klasse. deswegen bin ich schon richtig neugierig auf "Die Leiden des jungen Werther". Das Buch wurde uns heute nämlich in die Hand gedrückt. Die Deutschlehrerin war der Meinung, dass Lilli genau richtig kam. Wahrscheinlich, weil der "Werther" ein völlig neues Thema ist. Dazu hat uns noch niemand etwas gesagt. Wir sollen erstmal lesen. Man wird ins kalte Wasser geschmissen oder auch in ein zugestelltes Zimmer geschoben um dort irgendwie Ordnung reinzubringen. Apropos Ordnung, die fehlt in unserem Hauseingang vollkommen. So wie es aussieht zieht uns gegenüber jemand ein. Die Wohnung hat ziemlich lange leer gestanden. Schön bald wieder neue Gesichter und neues Leben hier zu sehen. Ich werde mich jetzt dem "Werther" widmen und in die Welt von Goethe abtauchen.
P.S.: Sag mal geht's noch? Klar ist ein Umzug stressig, aber bis nachts um 4 an den Wänden rumzuklopfen und einen Höllenlärm zu machen, kann doch nicht ihr Ernst sein! Bei denen piept's wohl...naja das tut's - die haben 'nen Vogel. Der Lautstärke nach zu urteilen ein Papagei. Wie soll ich denn da schlafen? ich könnte "Werther" als "Schlafmittel" benutzen - das hat heute schließlich schonmal geklappt.
und erneut folgt eine Fortsetzung ( es verbirgt sich hier eine richtige Geschichte, demnach habe ich noch sehr viel zu schreiben ;) )
Oh Gott, ich nehme alles zurück! Von wegen neue Gesichter! Lilli und ich sind jetzt Nachbarn. Vielleicht hat sie mich ja deshalb am ersten Tag angelächelt. Tja das war wohl das letzte Lächeln, das sie mir je schenken wird. Ich Idiot. Da treffe ich sie schon auf dem nachhauseweg und mir fällt nichts anderes ein, als mich über ihren Spitznamen lustig zu machen. Warum musste ich sie auch fragen, ob "Lotte" daher kommt, dass sie gerne Zwiebel - Charlotten- isst? Hallo! Das sollte ein Witz sein! Lilli ist gleich feuerrot im Gesicht geworden und hat sich weggedreht. Danach hat sie dann das Tempo vorgegeben und es war still zwischen uns. Ehrlich, so schnell war ich noch nie zuhause! Im Treppenaufgang bin ich dann nochmal in ein Fettnäpfchen gelatscht. Ich drehe mich zu ihr hin und sage: "Bis morgen dann!" Sie antwortet mir mit einem kurzen "Ja" und meine letzten Worte ihr gegenüber waren: "Lässt du mich dein Drachen sein, Lilli?" Jetzt bin ich in ihren Augen bestimmt ein totaler Vollidiot. Dieser dämliche Tabaluga.
Heute Nachmittag hatte ich eigentlich gar keine Lust auf Schießübungen, bin aber trotzdem hingegangen, weil mich sonst mein schlechtes Gewissen geplagt hätte im Bezug auf den "Werther". Auf den hatte ich nämlich noch weniger Bock. Beim schießen konnte ich dann mal wieder so richtig abschalten. Ich lege natürlich noch nicht auf Tiere an. Momentan ist es eher wie auf dem Rummelplatz, wo man auf Pappschildchen zielt. Bis zu meiner ersten richtigen jagd kann es noch dauern. erst kommt noch die Theorie. Den Teil mag ich nicht so besonders, aber als Jäger muss man sich eben auskennen. Ich bin viel lieber im Wald. Natürlich ist es im Sommer am angenehmsten, aber ich persönlich mag den Herbst am liebsten. Da lässt sich das Wild so schön beobachten und nach einem ordentlichen Regen hat alles seinen eigenen Geruch. Meine Mutter regt sich zwar ständig darüber auf, wenn ich bei richtigem Sauwetter auf dem Hochsitz bin - vonwegen Erkältung usw., aber mein Vater beruhigt sie dann. Der versteht das ja. Er jagt schließlich selbst. Frauen zeigen dann Verständnis, wenn die Nachbarin ihnen erzählt, dass es die neuen Manolo Blahniks nur noch eine Nummer kleiner gab und auch das nur, wenn sie die Nachbarin leiden können und die Schuhe selbst im Regal stehen haben. In der richtigen Größe versteht sich. Wir Männer sind da ganz anders. Auf dem Schießplatz habe ich den neuen Nachbarn - Lilli's Vater - getroffen. Er hat mich sofort begrüßt. Das war mir schon etwas unheimlich, aber sonst ist er ganz nett. In der Forst arbeitet er. Klar, dass wir uns gleich auf Anhieb verstanden haben. Tipps für das Schießen habe ich von ihm auch noch bekommen, aber als er mich im Auto mit nach Hause nehmen wollte, habe ich dankend abgelehnt. Das war mir dann doch zu viel.
Lilli und ich verstehen uns immer besser. Sie ist nur ziemlich schüchtern. Benny trägt es mit Fassung, dass ein Mädchen in unsere Männerfreundschaft getreten ist. Er versucht sich eben mit ihr zu arangieren. Heute Nachmittag gehen die beiden zusammen reiten. Ich finde es klasse, dass Benny sich mit Lilli beschäftigt. Schließlich bereite ich mich gerade auf meine theoretische Führerscheinprüfung vor und dann noch der Test im Jagdverein, da passt es mir ganz gut, dass die zwei das gleiche Hobby haben. Jetzt bringt Benny sein "Mädchenhobby" doch noch was - hätte ich nie für möglich gehalten.
Oh Mann, meine werte Frau Mama hat mich "zufällig" mit Lilli gesehen. Jetzt hören die Fragen gar nicht mehr auf. Fehlt nur noch, dass ich sie mal zum Kaffee einladen soll. Ich habe mir Lillis Job angesehen oder besser ihren Arbeitsplatz. was ich mich bis zum Schluss gefragt habe ist: wie kann man sich bloß aussuchen, Kinderkrankenschwester zu werden? Da kann man sich ja gleich einen strick nehmen. Lilli scheint dafür allerdings wie geschaffen zu sein - für den Job - nicht den Strick. Sie macht eigentlich nur die Aushilfe, aber die kleinen Quälgeister mögen sie verdammt gerne. Regelrecht Angst hatte ich dann aber, als sie auch auf mich zugewuselt kamen. Lilli hat nur gelacht und gerufen: Die beißen nicht, sie wollen nur spielen!" ich habe bei fast allem verloren. Morgen kommt die Revanche und dann muss ich mich wirklich anstrengen, wie stehe ich denn sonst vor Lilli da?
das ist mal wieder typisch, kaum läuft es in der Schule so richtig gut (die letzten 10 Noten waren glatte Einser), ist bei den freunden der Wurm drin. Nach der Sportstunde habe ich mich schon auf den Besuch im Krankenhaus gefreut (wie unheimlich, ich weiß), aber Lilli war wie verändert. Sie hat versucht zu lächeln, aber irgendwas hat so gar nicht mit ihr gestimmt. Einfach nachfragen wollte ich auch nicht. Hoffentlich bin ich nicht Schuld.
Der 13. Mai ist nicht nur ein Freitag sondern auch ein echter Unglückstag. Nicht dass ich abergläubisch wäre, aber bennys Hamster ist heute gestorben. Morgen wollen wir ihn beerdigen. Ich habe mir auch schon eine angemessene Grabrede überlegt: "Der arme Junge! Seit 7 jahren kenn ich die Gestalt, ich habe wenig mit ihm geredt. Schon manche Träne habe ich dem Abgeschiedenen in dem verfallenen Kabinettchen geweint, das sein lieblingsplätzchen war und auch meines ist."
Hört sich das nicht klasse an? ich hab's aus dem "Werther". Für Trauerreden ist der ja bestens geeignet. Zumindest bin ich fast durch. Gott sei dank. ich bin ziemlich enttäuscht von Goethe. Er hat so viele tolle Gedichte geschrieben. Bis jetzt hatte ich mir angewöhnt, Goethes werke immer mit Samthandschuhen anzufassen. so wie man eine zigtausend jahre alte Vase behutsam von einem Ort zum anderen trägt. das habe ich auch mit "Werther" getan, aber dieses Mal ist mir die Vase wohl runtergefallen. Jetzt liegt Goethe definitiv in Scherben. Naja, aber das hat er sich bei dem Mist, den er da zusammengeschrieben hat auch verdient.
Das kann ja wohl nicht wahr sein! da mache ich mir richtig Arbeit wegen diesem sowieso schon toten Vieh und kreuze heute Nachmittag bei Benny samt meiner tollen Grabrede auf und der Kerl erzählt mir erstmal mit einem dreckigen Grinsen auf dem Gesicht, dass er nach Sport bei den mädels gespannert hat! Hat er sie noch alle? ich meine, sowas macht man doch nicht. kein Wunder, dass Lilli danach so komisch drauf war. Sie hat ihn bestimmt gesehen und sich nicht getraut, was zu sagen. Im ersten Moment hätte ich Benny killen können. quasi als Ersatz habe ich ihm eine verpasst. irgendwie musste ich doch reagieren. Es war ja nicht mal ein Schlag ins Gesicht, sondern nur gegen den Arm. Ich war eben wütend. was heißt "war", ich bin es immernoch! Er hatte ja noch die Frechheit besessen von Lillis Anblick zu schwärmen1 wie dreist ist das denn? Ich glaub mein Hamster bohnert.
Mittlerweile gehe ich immer öfter in den wald um den Kopf klar zu kriegen. Benny und ich ignorieren uns jetzt. Lilli tut mir dabei nur verdammt leid. Sie steht durch den vorfall irgendwie zwischen uns, aber ich versuche sie so gut wie es geht auf andere Gedanken zu bringen. Für mich gibt es neben den Krankenhausbesuchen noch etwas Positives zu verbuchen. ich habe nämlich meine theoretische Prüfung bestanden. das heißt, dass ich auf die restlichen verkehrsteilnehmer losgelassen werde - rette sich wer kann!
Ich bin Lilli im Wald begegnet. Sie stand plötzlich vor mir und ich hatte einen riesigen Strauß Blumen im Arm, den ich eigentlich mit nach Hause hatte nehmen wollen. Lilli stand wohl komplett neben sich. Sie schien auch geweint zu haben, weshalb ich ihr zum Aufmuntern den Strauß in die Hand drückte. Leider blieb der gewünschte erfolg aus. Sie ist mit den blumen weggerannt und hat sie beim Laufen über den ganzen Weg verteilt. Jetzt bin ich völlig verunsichert. Wenn ich doch bloß mit ihr über solche Sachen reden könnte.
Ich als der Herausgeber bin gezwungen mittels gewisser Informationen einen Zusammenhang zwischen den beiden vorliegenden tagebüchern des Alexander Wessel zu schaffen. Bitte gleuben sie mir, dass mir eine solche Aufgabe keineswegs behagt, schon alleine der konträren Ausdrucksweise wegen. An einem Abend im Mai, dessen konkrete Benennung für das Gesamtbild nicht relevant ist, begab sich Alexander Wessel in eine Untergrundbahn um zum stadtzentrum zu gelangen, wo er Besorgungen zu erledigen hatte. Während sich die Untergrundbahn an einer Haltestelle befand, stiegen 5 junge Männer in das Abteil, in dem sich Alexander Wessel aufhielt. Augenzeugen zufolge trugen diese 5 einheitliche, sogenannte "Bomberjacken" und hatten, mit einer Ausnahme, kahlgeschorene Köpfe. Sie seien auf Alexander Wessel zugegangen und hätten sich auffällig dicht an ihn gedrängt. Alexander soll, als dies geschah. keine definierbaren Emotionen gezeigt haben. Nach wenigen Minuten, in denen die jungen Männer Alexander nur anstarrten, entfernte sich derjenige mit dem Kurzhaarschnitt und der Größte der restlichen 4 begann auf Alexander wesel einzureden. So geschehen in einer Lautstärke, dass keiner der Augenzeugen das Gespräch hören konnte. Alexander soll allerdings mit mehrmaligem, energischen Kopfschütteln auf die Worte reagiert haben. Durch mehrere Aussagen belegt, sprangen die 4 ohne jegliche Vorwarnung auf und schlugen auf Alexander Wessel ein. Als dieser am Boden lag, erhielt er eine Vielzahl von Tritten in den Unterleib, sodass er einen Milzriss, mehrere Rippenbrüche sowie eine Platzwunde am Kopf, Prellungen und Hautabschürfungen erlitt. Unter rassistischen Beschimpfungen, urinierten alle 4 nacheinander auf den wehrlosen Alexander Wessel und bespuckten ihn, als das Opfer den Kopf hob, um mit auf den 5., sich abseits befindenden jungen man, gerichtetem Blick folgenden Satz von sich zu geben: "Dass du so weit gehst, ist bemitleidenswert." Seine Worte den direkten Tätern gegenüber waren: "Er benutzt euch als Marionetten, um mich aus dem Weg zu schaffen, damit er leichtes Spiel hat. Wisst ihr von Lilli Hat er euch gesagt, dass ihr sie in Ruhe lassen sollt? Ich bezweifle, dass ihr genug Grips besitzt, um das zu verstehen, aber ich versuche es trotzdem: Eigentlich könnt ihr ihn auch zusammenschlagen!" Daraufhin erfolgten erneute Tritte, welche sich auf den Genitalbereich von Alexander Wessel ausrichteten. Aufgrund der Schwere ist später im Krankenhaus eine Zeugungsunfähigkeit diagnostiziert worden. Zwei der Augenzeugen hatten das Opfer ins Hospital gebracht, wo er ungefähr eine Woche später ein neues Tagebuch erhält und zu schreiben beginnt.
ich lese fleißig Deine "Novelle" - versuche Details einander zuzuordnen, an manchen Stellen gerissenen roten Faden wieder zu verknoten, ein kleines Verzeichnis der handelnden Personen anzulegen, um zu ergründen, wo die Geschichte hingeht und einmal enden wird, wer die Gewinner und wer die Verlierer sein werden. - Zumindest macht es mir Spaß, mich in Deinen Gehirnwindungen zurecht zu finden, wenngleich darin stellenweise arge Dunkelheit herrscht.
Soll ich jetzt jammern? Ich hasse Mitleid, also kann ich mir das eigentlich auch sparen. Sparen sollte ich sowieso - für einen Umzug in ein anderes Land! Erst wenn einem selbst etwas passiert, realisiert man, dass es immer wieder geschehen kann. Damit umzugehen ist für mich kein Problem, aber für meine Eltern und den rest der familie. Diese verheulten Gesichter will ich mir nicht nochmal antun müssen. Eben war Lilli hier, wie lieb von ihr. Oh, ich bin ein Poet. Sie war der einzige meiner Gäste, die nicht ganz bei sich zu sein schien. Ich hoffe, dass sie noch nicht weiß, wer dafür verantwortlich ist, dass ich jetzt Invalide bin. Zumindest hat sie sich nicht dazu geäußert. Irgendwann werde ich es ihr sagen müssen... das wird weh tun. Naja nicht mir sondern ihr. Immerhin ist er ihr Kumpel oder sollte ich besser sagen "war"? Was ich mich im Zusammenhang mit der ganzen Geschichte frage ist, wie er an diesen, angeblich durch mich entstandenen blauen Fleck am Arm gekommen ist, wegen des die Jungs so gestresst haben. Ich weiß, dass ich ihn damals gegen eine Wand gestoßen hatte, aber dieser Fleck war ja gar keiner mehr. Sein ganzer Oberarm war grün und blau, sogar mit Blutergüssen übersät. Wenn man mich fragt, haben sich Bennys neue Freunde selbst mit ihm beschäftigt, aber mich fragt ja keiner. Irgendwie hatte ich übrigens das Gefühl, dass Lilli fast zu weinen angefangen hätte. Dass ihr die Sache so nahe geht...die arme Kleine.
endlich, in knapp einer Woche darf ich wieder raus! Naja ganz so schlimm war es dann ja doch nicht, der Aufenthalt im Krankenhaus, meine ich. Die Kinderstation ist fast nebenan und die kleinen Racker sind verdammt oft zu Besuch gekommen. Ich glaube, sie mögen mich. Immerhin ist mir auch eine ganze Menge Zeit geblieben, um die "Leiden des jungen Werther" nochnmal zu lesen. ( An einem Ort wie diesem ist es nicht ganz so beschämend, wenn man - wiedermal - dabei einschläft...) Ich glaube, so langsam verstehe ich den Typen. Scheinbar passe ich hier auch nicht rein. Kaum zu glauben, aber auch als "Schwarzer" vergisst man ab und zu, dass man in Deutschland lebt und dann geht's einem richtig gut, ehrlich! Trotzdem hätte ich nie gedacht, dass ich mal solche Probleme bekommen würde...schon alleine wegen meines Namens! Ich meine: Alexander Wessel - geht's noch deutscher? Ja ok, vielleicht "Meier" oder "Müller", aber man kann ja nicht alles haben.
Meine Eltern haben mir erzählt, dass mein ehemaliger bester Freund jetzt regelmäßige Sitzungen auf dem Polizeirevier hat. Wo genau er steckt, ist mir eigentlich egal. Hauptsache, ich muss ihn nicht mehr sehen. Lilli hat mir gesagt, dass sie alles ganz schrecklich findet, was passiert ist. Sie konnte mir dabei gar nicht in die Augen sehen. Das nimmt sie wirklich mit.
So langsam kriege ich wirklich Hummeln im Hintern. Draußen scheint die Sonne, meine halbe klasse ist jetzt bestimmt im Schwimmbad und ich liege hier. Ich habe sowieso genug zu tun, wenn ich draußen bin. (Das hat so ein bisschen Knast-charakter oder?) da wäre meine Führerscheinprüfung und natürlich noch das Jägerexamen. Angst habe ich davor aber nicht besonders. Mehr Sorgen mache ich mir wegen des Wetters. Ich habe eine Narbe auf dem Rücken und merke wenn ein Wetterumbruch bevorsteht. Ich glaube, da ist ein Sturm im Anzug.
Da ich wegen des langen Krankenhausaufenthalts Probleme mit dn Noten in der Schule bekomme, habe ich im Moment kaum Zeit für illi, aber sie scheint auch viel zu tun zu haben. Wir sollen uns kreativ mit dem werther beschäftigen. Ich glaube, ich schreibe ihn um, aber das würde ziemlich lange dauern.
Morgen ist es soweit. Wenn nichts schief geht darf ich dann endlich alleine Auto fahren, legal meine ich. Lilli hat mich zum Discobesuch eingeladen. Wie cool wird das denn aussehen, wenn ich sie mit "meinem Auto" (dem Mercedes meiner Eltern) in der Einfahrt begrüße? Ich kann es kaum erwarten. Vielleicht komme ich dann dazu zu erfahren, warum sie sich in letzter Zeit so komisch verhalten hat. Ich mache mir schon eine ganze Weile Gedanken deswegen und ich muss zugeben, dass ich mich wohl in sie verliebt habe. Ehrlich gesagt schon von Anfang an... Lilli geht es bestimmt genauso und sie weiß nicht, wie sie es mir sagen soll. Morgen wird sich alles klären. Auch das kann ich kaum erwarten. Ich bin eben nicht der Typ, der seine große gefühswelt auf Papier festhält. Trotzdem bedeutet Lotte mir sehr viel. Leider habe ich sie nicht mehr so oft gesehen wie ich es mir wünsche. Ich habe auch Angst, dass sie auf Benny trifft und dann gewalttätig wird. Wenn das passiert, haben wir einen Toten mehr - versprochen!
Nachdem Alexander seine Führerscheinprüfung erfolgreich bestanden hatte, folgte am Abend der Besuch der Tanzveranstaltung. Diese endete damit, dass die B72 gesperrt werden musste, aufgrund eines Autounfalls. In den Zeitungen hieß es: [...] Auslöser des plötzlichen Aufbruchs mit dem PKW soll ein streit mit einem Freund gewesen sein, dem auch eine Schlägerei folgte. Wohl wütend, aber ohne Alkohol im Blut, übersah Alexander Wessel die Geschwindigkeitsbegrenzung sowie ein Stoppschild und kollifierte auf der Kreuzung mit einem LKW. der Fahrer steht noch unter Schock, ist aber unverletzt. Alexander Wessel verstarb noch am Unfallort.
Um Klarheit in die Geschehnisse vom Abend des 15. juni zu bringen, habe ich Lilli dazu bewegen können, Stellung zu nehmen, obwohl sie dem Interview erst nach dringlichem Bitten zustimmte. Hier ein Auszug:
"Er war ganz stolz auf sich, da er schließlich seinen Führerschein gemacht hatte. Ich habe mich dann auch von ihm abholen lassen. Ob ich wusste, dass Benny an dem Abend auch kommen würde? Ok, vielleicht hätte ich Alex an einem anderen Orte sagen sollen, wie die Dinge stehen. Der Junge war...klasse, ehrlich, aber so unkoordiniert und naiv! Ich meine, er muss doch bemerkt haben, was zwischn Benny und mir läuft. Als Benny mich damals beim Duschen beobachtet hat, haben wir die Gelegenheit eben genutzt, was solls? Über die Aktion mit den Typen in den Bomberjacken war ich wirklich entsetzt, aber als ich die Verletzung an bennys Arm gesehen habe...ich weiß auch nicht. in der Disco wollte mich alex in sein Auto ziehen, aber Benny hat mich beschützt und als sich die beiden dann noch geprügelt haben, wurde es mir zu viel. Ich bin dann gegangen. [...]" "[...] Ob Alex sich wegen mir umgebrach hat? Wollen sie mir Schuldgefühle machen? Es wäre ja nicht das erste Mal, dass meine Beine einen mann so umhauen, dass er letztendlich die Kontrolle verliert."
Ich glaube, dass es in Alexanders Interesse gewesen wäre, wenn ich anfüge, dass Benny und Lilli aus Angst vor Angriffen aus der rechten Szene ins Ausland geflohen sind.
Respekt vor denjenigen, welche sich wirklich die Mühe gemacht haben, das alles zu lesen. Sollten noch Fragen offen sein, beantworte ich sie gerne oder werde es zumindest versuchen.
Innerhalb des Deutschunterrichts durfte ich eine Unterrichtsstunde darauf verwenden, mein Projekt vorzustellen und man hat es auch mit Lachen sowie stellenweiser Ernsthaftigkeit und guten Kritiken angenommen. Es wurde letztendlich sogar benotet: 13 Punkte - 1- ...
ich hätte Dir auch die die Höchstnote gegeben und zwar aus dreierlei Gründen.
1.) dafür, dass Deine Berichterstattung brandaktuell ist, 2.) für so viel Mut, sich an ein solch heikles Thema heranzuwagen. 3.) für Deinen phanthasievollen Schreibstil, der immer noch ein Hintertürchen offen lässt, für gewisse Spannungselemente, die dann schubweise kommen und letztlich zu einem unerwarteten Ende führen.
Für einen Schüler ist das m.E. eine beachtliche Leistung.
Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden
Offline
