Das LabyrinthEs war spät geworden und so bettete ich meine bleiernen Glieder
und mein müdes Haupt zur Ruhe.

Jemand nahm meine Hand und führte mich hinein, in ein riesiges
Labyrinth. Die Luft roch geheimnisvoll und von Irgendwo fiel Licht
in die dunklen Gänge.
Ich folgte dem Weg, bog bald nach rechts ab, doch da kam ich nicht
weiter. Viele Kisten, teilweise gestapelt bis unter die Decke, versperrten
den Weg und machten ein Weiterkommen unmöglich.
Neugierig öffnete ich den Riegel einer dieser Holzkisten und erschrak
fürchterlich! Ein dunkelgraues, durchsichtiges Gesicht stieg aus der
Kiste empor, bewegte sich langsam vor mir und lachte hämisch: „Ha ha haaa!
Mein Name ist Angst! Was tust du hier zu so später Stunde?“ Schnell
drückte ich den Deckel zu und damit diese Fratze zurück in ihr Gemach!
Mein Herz pochte noch immer sehr laut und ich ging zurück, um einen
neuen Weg einzuschlagen, als ich plötzlich Stimmen hörte. Der Weg den
ich ursprünglich gekommen war, war nicht mehr da und ich konnte nur
vorwärts – in Richtung der Stimmen.
Langsam ging ich und lauschte: „Ja, komm nur näher!“ – „Nein, sie soll
bleiben wo sie ist.“ - „Hast du etwa Zweifel?!“ – Hüte dich, man weiß nie
was passiert.“ – „Ach hab dich nicht so, was ist denn schon dabei!?“ –
Warte lieber noch ab, du wirst sonst bereuen.“
Dann stand ich vor ihnen – zwei zerbrochene Spiegelscherben.
Den gesplitterten Konturen zufolge, mussten sie einst ein Spiegel gewesen
sein. Auf dem Boden lagen viele winzige Splitter verstreut, doch als ich
genau hinsah, konnte ich erkennen, dass diese glitzernden Teilchen ein
Wort ergaben! U–N-s-i-c-h-e-r-h-e-i-t….. Unsicherheit?
Ich schaute die großen Spiegelscherben an, die sich noch immer nicht einig
waren und mir wirre Sätze entgegenpolterten. Da hörte ich ein Geräusch!
Es musste ganz aus der Nähe gekommen sein. Etwas tropfte - und eine innere
Stimme forderte mich auf, weiter zu gehen - hin, zu diesem Tropfen. Ich
folgte dem Weg geradeaus. Rechts und links schien es ab und zu neue Wege
zu geben, aber wenn ich sie dann erreichte, waren sie doch verschlossen,
sodass es immer nur eine Richtung gab, die ich einschlagen konnte.
Das Tropfen wurde immer lauter und das Dunkel des Labyrinths schien mir
nun rötlich.
Ich blieb abrupt stehen…. hörte jemanden kläglich weinen. Ganz leise nur.
„Geh, schau es dir nur an.“ sagte die Stimme in meinem Kopf. Einen Fuß
vor den anderen, ging ich zögerlich weiter bis ich es sah… Ein großes, rotes
Herz. Die eine Hälfte ummantelt von dunklem, kaltem Metall.
Es atmete schwer… es war verletzt… blutete… Die andere Hälfte des Herzens
hatte sich teilweise befreit. Stücke des Metallmantels lagen auf dem sandigen
Boden. Ich musste die Augen schließen. Konnte und wollte nicht mehr hinsehen,
auf dieses traurige Bild. Wie sehr musste dieses Herz wohl leiden?
Tief berührt setzte ich meinen Weg fort. Keine Ahnung, wohin er mich führen
würde, bis ich an einem großen Käfig ankam. Ein Panther ging ruhig darin auf
und ab und schaute mich aus seinen wunderschönen Augen an. Sein schwarzes
Fell glänzte und majestätisch leckte er seine Brust, als ob er seine Schönheit
unterstreichen wollte. Ja, was für ein stolzes Tier diese Panther doch war…..!
Aus dem Nichts schob sich eine Wand vor den Käfig und ein neuer Weg
öffnete sich mir und so musste ich weiter gehen. Es dauerte auch nicht lange,
da erreichte ich einen hellen, lichtdurchfluteten Raum. Darin befand sich
ein Sessel in samtenem Rot und ein kleiner Tisch auf dem ein Buch lag.
Ich ging hinein, setzte mich und nahm das Buch in die Hand. Ich schaute
mich um - alles sah so einladend aus.
Als ich die erste Seite aufgeschlagen hatte, konnte ich es noch nicht glauben
und dachte an einen Zufall. Ich blätterte vor und wieder zurück und noch
einmal vor! Doch – es bestand kein Zweifel!
Diese Frau in dem Buch war ich! In dem Buch waren meine Träume!
Wie kamen diese Bilder da hinein?
Das Buch war voller Bilder, Fotos und Zeichnungen, auf denen ich zu
sehen war! Ich – in meinen Wünschen und Traumbildern!
Ein Strahl der Morgensonne kitzelte mich an der Nasenspitze. Ich reckte
und streckte mich und als ich die Augen öffnete – da wusste ich es:
Dieses Labyrinth war in mir…
© Text: Birgit Lüers
© Bild: Klaus Schäfer